Den ganzen Tag über waren sie nicht
zu sehen. Doch jetzt, bei Einbruch
der Nacht, ertönt plötzlich
schnelles Hufgetrappel. Ein Dutzend
Augenpaare blitzt im Mondlicht
auf, nur wenige Schritte von
uns entfernt: Da sind sie, die
gehörnten Bewohner des Naturparks El
Torcal von Antequera. Nachdem die
vielen Tagesbesucher verschwunden
sind, nehmen die Bergziegen ihr nun
wieder so stilles Reich erneut in
Besitz. Die behenden Tiere erklimmen
die bizzaren Felsformationen mit
müheloser Leichtigkeit
– auch
Steilhänge, bei denen jeder ohne
ausgeprägte bergsteigerische
Fähigkeiten seinen Hals riskieren
würde.
Der Naturpark im Hinterland von Málaga ist das bedeutendste Karstgebirge von Spanien. Kaum zu glauben, dass an Stelle des bis zu 1400 Meter hoch gelegenen zerklüfteten Plateaus im Süden der Stadt Antequera einst das Meer wogte. Die Ausläufer des Ozeans Thetys, von dem heute nur noch das Mittelmeer übrig ist, reichten im Erdmittelalter vom Golf von Cádiz bis zur Levante. Vor 100 bis 200 Millionen Jahren entstand durch Erosion und Auffaltung der Gesteinsschichten das beeindruckende Areal.
Die Landschaft aus skurril
geformtem Kalkgestein wirkt auch
tagsüber wie verzaubert: Mal ragt
ein Felsen wie ein riesiges
Fabelwesen empor, mal scheint
sich eine Schwangere im Gegenlicht
abzuzeichnen. Viele der Formationen
haben schon die Fantasie der
Betrachter angeregt und ihnen die
entsprechenden Namen eingebracht
– wie
die Schraube, das Kamel, die
Zwillinge, der Dinosaurier. Um
einigen von ihnen zu begegnen,
braucht man nur der Ruta Verde
folgen, der kürzesten der markierten
Rundwanderstrecken. Dieser grüne
Weg, gerade mal 1,8 Kilometer lang,
darf auch ohne Führer beschritten
werden. Zwei längere Pisten
sind des Naturschutzes wegen
mittlerweile für Erkundungen auf
eigene Faust gesperrt.
Zu sehen gibt es auf dem frei
gegebenen Abschnitt aber genug. Fast
120 Tierarten vom Steinadler bis zum
Salamander bevölkern das
Steinlabyrinth El Torcal, mehr als
660 Pflanzenarten von der wilden
Lilie bis zum Leinkraut werden
verzeichnet. Wir sind fasziniert von
den großen Raubvögeln, die immer
wieder majestätisch über unseren
Köpfen kreisen. Adler oder Geier?
Wir selbst vermögen die Flugkünstler
nicht zu unterscheiden: Es bleibt
beim laienhaften Raten.
Der grüne Weg beginnt und endet unweit des Besucherzentrums, das eine interaktive Ausstellung über den Park beherbergt. Wir machen aber noch einige Schritte weiter bis zum Mirador de las Ventanillas. Von hier genießt man einen weiten Rundumblick über die südliche Umgebung. Im Tal ist der Ort Ort Villanueva de la Concepción zu sehen, in dem jedes Jahr im Mai eine Wallfahrt zu Ehren des Heiligen Isidor nach El Torcal beginnt. Bei klarer Sicht lassen sich von hier aus auch die Berge von Málaga und manchmal sogar das Mittelmeer erspähen.
Nur etwa 40 Kilometer weiter westlich stoßen wir auf das Gebiet El Chorro, ein beliebtes Dorado für Kletterer, Bergsteiger und Wanderer und unser zweites Ausflugsziel. Kaum 50 Kilometer von Málaga entfernt, wo er in das Meer mündet, fließt der Rio Guadalorce hier durch einen schmalen Canyon. Bis zu 300 Meter hoch türmen sich zu seinen Seiten die mächtigen Kalkfelsen auf.
Viele Besucher, ob sportlich oder
nicht, zieht jedoch vor allem eines
hierher: Sie wollen einen Blick auf
einen maroden Pfad erhaschen,
der sich in schwindelnder Höhe an
der Felswand entlang windet und
immer wieder als der
gefährlichste Wanderweg der Welt
beschrieben wird.
Der etwa drei Kilometer lange Caminito del Rey, der „Weg des Königs”, wurde vor mehr als hundert Jahren gebaut, um Materialtransporte durch die Schlucht bis zu dem Wasserkraftwerk am anderen Ende zu ermöglichen; 1905 wurde er fertiggestellt. König Alfonso XIII soll 1921 über diesen Weg zur Einweihung des Staudamms Conde del Guadalhorce gelaufen sein; seitdem ist vom Königsweg die Rede.
Begehen darf ihn offiziell jedoch schon lange niemand mehr. Der Weg ist nach Todesfällen in der Schlucht zu Recht gesperrt worden. Von dem verfallenen schmalen Pfad sind an manchen Stellen nur noch die Stahlträger übrig, nichts schützt vor einem Sturz in die Tiefe. Um den Zugang zu verhindern, sind mittlerweile auch das Anfangs- und das Endstück des Caminito abmontiert worden.
Den allzu Waghalsigen, die sich
trotz hoher Bußgelder heute noch
durch einen Bahntunnel Zugang zu dem
verbotenen Weg verschaffen, tun wir
es natürlich nicht nach. Wir werfen
stattdessen einen sicheren Blick vom
Rand der auch Desfiladero de los
Gaitanos genannten Schlucht in die
Höhe. Der ist uns eindrucksvoll
genug.
Darüber hinaus reicht uns der virtuelle Nervenkitzel im Internet, für den einige Extremkletterer vor Jahren mit ihren Videos gesorgt haben. Schon beim bloßen Anschauen wurde uns schwindlig. Wer dennoch damit liebäugelt, den Weg eines Tages zu bezwingen, sollte sich zumindest gedulden. Denn es gibt es Überlegungen der Regionalregierung, ihn aufwändig zu restaurieren, auch wenn noch nicht sicher ist, wann das tatsächlich der Fall sein wird.
Nahe der Schlucht und dem
Dorf El Chorro führt eine Straße in
Serpentinen in die Höhe. Wir folgen
ihr, um unser drittes Ausflugsziel
anzusteuern
– die nahen
Ruinen von Bobastro, eine der
wichtigsten archäologischen
Fundstellen Spaniens. Das Gelände
einer alten maurischen Siedlung aus
dem frühen 10. Jahrhundert birgt
unter anderem die Überreste einer
mozarabischen Kirche. Die hat Omar
beziehungswiese Umar Ibn-Hafsun
erbauen lassen, ein maurischer
Rebell, der mit einer Reihe weiterer
Aufständischer dem Emirat von
Córdoba die Stirn bot und später zum
Christentum konvertierte. Von seiner
Festung aus soll der Abkömmling
eines westgotischen Adelsgeschlechts
einst weite Teile Andalusiens
beherrscht haben. Auch wenn von
Bobastro nicht mehr allzuviel übrig
ist, eines hat die Jahrhunderte
jedoch überdauert: der
überwältigende Ausblick von der
Hochebene aus.
Informationen
Anreise
El Torcal: Um nach El Torcal zu kommen, fährt man von Málaga in nördlicher Richtung entweder über die Landstraße C 3310 oder über die A 7075 . Man kann auch die Autobahnen A7 und A45 Richtung Antequera bis zur Ausfahrt Casabermeja nehmen und von dort in Richtung Villanueva de la Concepción weiterfahren. Dort folgt man jeweils den Beschilderungen nach El Torcal. Je nach Strecke beträgt die Entfernung 40 bis 55 Kilometer.
El Chorro: Die Entfernung von Malaga beträgt etwa 50 km. Über die Autobahn A 357 fährt man in Richtung Álora und El Chorro.Von Antequera aus sind es nur etwa 25 Kilometer. Über die A 343 geht es über Valle de Abdalajís nach El Chorro.
Bobastro: Bobastro liegt etwa vier Kilometer vom Zentrum des Ortes Ardales entfernt auf der Hochebene Mesas de Villaverde. Ardales erreicht man von Málaga aus über die Landstrasse A 357 in Richtung Cártama.
Auskünfte
Spanisches Fremdenverkehrsamt
Kurfürstendamm
63
10707 Berlin
Tel. (0
30) 88 26-0 oder (0 61 23) 9 91 34