Die Stufen in die Tiefe wollen kein Ende nehmen, alle paar Schritte wird es ein wenig kälter. Neugierig, aber auch ein bisschen beklommen folgt der kleine Trupp dem Führer. „Jetzt sind wir schon 40 Meter unter der Erde“, erklärt er schließlich. Bald wird Max behutsam die junge Belgierin ermutigen müssen, die unter Klaustrophobie leidet: Gerade mal körperbreit ist der mehrere Meter hohe dunkle Felsspalt, den es jetzt zu durchqueren gilt, mit einer Fackel als einziger Lichtquelle in der Hand.
Der junge Missionar aus dem Hessischen ist im Zeichen des Herrn unterwegs – und im Auftrag des kulturellen Vereins „Napoli sotteranea“ unter Tage: Er verdient sich sein Geld, indem er Touristen auf einem ungewöhnlichen Ausflug in Neapels „Unterwelt“ begleitet. Wer die Stadt wie auf einer Leiter von unten nach oben erobern will, fängt am besten hier an.
Unter der quirligen Altstadt der
süditalienischen Metropole befindet
sich ein rund 80 Kilometer langes
Labyrinth aus Höhlen und Gängen, das
beim Abbau des Tuffsteins im
Untergrund entstanden ist. Der
private Verein „Napoli sotteranea“
mit Sitz an der Piazza San Gaetano
pflegt das verzweigte Netz;
Führungen zeichnen seine lange
Geschichte nach. Schon die Griechen
entnahmen im vierten Jahrhundert v.
Chr. Tuffsteine für die
Festungsanlagen, die das damalige
Neapolis umgaben. Auch entstand ein
Zisternensystem, das erst Ende des
19. Jahrhunderts nach einer
Choleraepidemie durch ein modernes
Wasserleitungsnetz ersetzt wurde.
Als Katakomben, Abfallhalden und
Zuflucht dienten die Höhlen
ebenfalls. Vergessenes
Kinderspielzeug und andere
Alltagsgegenstände künden noch
davon, dass die Bevölkerung im
Zweiten Weltkrieg vor den
Bombenangriffen unter die Stadt
geflohen war. Heute üben in der
Tiefe kleine Theater und Musiker,
erforschen Wissenschaftler die
Bedingungen für Pflanzenwuchs.
Mit dem Brückenschlag zwischen
Vergangenheit und Gegenwart haben
die Bewohner von Italiens
drittgrößter Stadt – immerhin 1,2
Millionen Menschen leben in Neapel,
mitsamt der Peripherie sind es sogar
drei Millionen – auch oberirdisch
kein Problem. Reste des antiken
Amphitheaters, in dem Kaiser Nero
einst 4000 bezahlte Klatscher zu
seinem Auftritt als Sänger bestellt
haben soll, sind einfach in die
neueren Häuser mit eingebaut worden.
Die Hauptstadt Kampaniens, im 18. Jahrhundert eine der glänzendsten Städte Europas, bietet einem Missionar durchaus die passende Umgebung. Allein 300 Kirchen warten auf Besuch. Jahr für Jahr zieht es Tausende von Gläubigen in den Dom San Gennaro, der dem heiligen Januarius gewidmet ist: Beim so genannten Blutwunder verflüssigt sich regelmäßig der eingetrocknete Lebenssaft des Märtyrers, der einst im nahen Pozzuoli enthauptet wurde.
Im bedeutenden Archäologischen
Nationalmuseum lassen sich Besuche
im nahen Pompeji gut vorbereiten:
Neben einer weltberühmten Sammlung
antiker Kunst sind dort
Wandmalerien, Mosaiken, Schmuck und
Gebrauchsgegenstände aus der Stadt
am Vesuv zu sehen. Der Ausbruch des
Vulkans hatte 79 nach Christus jedes
Leben erstickt. Gipsabdrücke
zeichnen den qualvollen Tod der
zusammengekrümmten Opfer nach.
Von oben lässt sich die Stadt mitsamt ihrem Golf und den Inseln Capri und Ischia vom Wohnviertel Vomero aus erleben, ein gutbürgerlicher Kontrast zur ärmlichen, beengten Altstadt. Die Zugseilbahn Funicolare rattert in kurzer Zeit steil hinauf zu diesem Dachgeschoss. Der Panoramablick ist einmalig.
Informationen
Staatliches italienisches
Fremdenverkehrsamt (ENIT)
Neue Mainzer Strasse 26
60311
Frankfurt am Main
Tel.
0049 (0)69 - 23 74 34
Fax 0049
(0)69 - 23 28 94
Internet
Lektüre
Dumont, „Richtig Reisen – Golf von Neapel“, 2003, Michael Müller Verlag, „Golf von Neapel“.