Knorrige Olivenbäume wechseln sich
in scheinbar endloser Folge mit
Steineichen und Eukalyptusbäumen ab.
Hin und wieder duckt sich ein
niedriges Gehöft auf den Boden, und
ein paar schwarze Schweine wühlen
zwischen Korkeichen die Erde auf. Ab
und zu säumen die Häuser eines Dorfs
die Straße, die gleich darauf wieder
durch eine ausgedehnte
Weidelandschaft mit Schafen und
Ziegen führt.
Die Region Alentejo im Süden Portugals macht fast ein Drittel der Landesfläche aus, ist aber nur sehr dünn besiedelt. Gerade einmal fünf Prozent der knapp elf Millionen Portugiesen leben in dem 27 000 Quadratkilometer großen Gebiet zwischen der Algarve, der spanischen Grenze, dem Fluss Tejo und dem Atlantik. „Ein so weites Land. Ein Mensch kann hier sein Leben lang gehen, ohne sich jemals zu finden, wenn er verloren auf die Welt kam.“ So beschreibt Portugals Literaturpreisträger José Saramago das einstige Armenhaus Portugals in seinem Buch „Hoffnung im Alentejo.“
André Benjamin Birken ist einer,
der gern und viel in diesem weiten
Land umhergeht. Der 40-jährige
Klangkünstler ist der Liebe wegen
vor Jahren aus Hannover in den
nördlichen Alentejo gezogen, wo er
heute geführte Wanderungen anbietet.
„Mir hilft diese Landschaft eher,
mich selbst zu finden, ich habe mich
regelrecht in sie verliebt“, erzählt
er.
Auch wenn er zunächst die dichten Wälder Norddeutschlands vermisst hatte, war der Deutsche schnell den Reizen seiner neuen Heimat erlegen. Er schwärmt von neolithischen Schätzen, von Steinkreisen und Dolmen, auf die er bei seinen Streifzügen immer wieder stößt. Und vom wilden Spargel, von delikaten Pilzen und von Heilkräutern, deren Verwendung und Nutzen er seinen Wandergruppen erklärt.
Birken hat jedoch einen kurzen Weg,
wenn es ihn nach der Einsamkeit und
Stille in der Natur zu Geselligkeit
und Kultur zieht. Denn er wohnt in
Évora, der mit 57 000 Einwohnern
größten der wenigen Städte des
Alentejo und dessen urbanes
Herzstück. Seit 1986 gehört die
Altstadt mit einem Mauerring aus dem
14. Jahrhundert zum
UNESCO-Weltkulturerbe. In der
einstigen königlichen Residenzstadt
haben unter anderem die Römer, die
Westgoten und die Mauren ihre Spuren
hinterlassen. So sind hoch oben auf
dem Hügel noch die Säulen eines
römischen Tempels zu sehen.
Von hier sind es nur wenige Schritte
zu der Kathedrale im
romanisch-gothischen Stil, die iIm
Inneren mit einer Besonderheit
aufwartet: der Darstellung einer
schwangeren Maria.
Viele
prunkvolle Gebäude, die zur
Regierungszeit König Manuels I. im
frühen 16. Jahrhundert entstanden
sind, erinnern mit ihren maritimen
Ornamenten wie Seilen und Knoten an
die Zeit der großen Seefahrer und
Entdecker. Dieser Architekturstil
ist einzigartig und nur in Portugal
zu finden.
Unter den vielen Sehenswürdigkeiten
Évoras sticht besonders die
Knochenkapelle der
São-Francisco-Kirche heraus, die
Franziskanermönche um das Jahr 1600
errichtet haben. Sie hinterlässt
wohl bei jedem Besucher einen tiefen
Eindruck: In die Wände und Säulen
sind die Schädel und Knochen von
5000 Toten eingelassen. „Nos ossos
que aqui estamos – pelos vossos
esperamus“ lautet der Spruch, der
die Besucher am Eingang empfängt:
„Unsere Knochen hier warten auf die
euren“, bedeutet er in etwa.
Die Gebeine, die von mehreren Altstadtfriedhöfen zusammengetragen wurden, sind nicht nur ein Symbol für die Vergänglichkeit. „Sie zeigen auch, dass der Tod uns alle gleich macht“, sagt Fremdenführerin Olga Miguel. Denn die Größe der Schädel verrät zwar, wer als Kind und wer als Erwachsener starb. Doch niemand vermag mehr zu sagen, ob jemand arm oder reich, hoher Würdenträger oder Wäscherin war. Die Capela dos Ossos bewahrt ihre Geheimnisse.
Fast 8000 Studenten sorgen jedoch dafür, dass Évora mehr als eine Museumsstadt ist. Junge Leute mit Rastazöpfen klappen in den Cafés ihre Laptops auf, andere schlendern entspannt durch die malerischen Kopfsteingassen oder treffen sich abends zu einem Bier. Die Altstadt wird auch durch viele kleinen Läden belebt. Etliches, was hier angeboten wird, gibt es anderswo nicht: edle Handtaschen im Kroko-Look, Schuhe mit Plateausohlen, Krawatten, und sogar Regenschirme – ganz aus Kork gemacht. Rund 70 Prozent des portugiesischen Korks, der mehr als die Hälfte der Weltproduktion ausmacht, werden im Alentejo erzeugt.
Man begegnet den Korkeichen auch
auf der Fahrt ins Barockstädtchen
Portalegre nahe der spanischen
Grenze immer wieder. Es ist berühmt
für seine Teppich- und
Gobelinmanufaktur, auch die
Korkverarbeitung spielt nach wie vor
eine große Rolle. An vielen Gebäuden
fällt – wie auch in den anderen
Orten der Region – die Bemalung in
warmem Gelb rund um Fenster und
Türen auf. „Die Farbe soll vor dem
bösen Blick schützen und
symbolisiert außerdem Wohlstand“,
erklärt Olga Miguel, die selbst im
Alentejo geboren ist.
Im Café Alentejano nahe der Kathedrale scharen sich am späten Vormittag vor allem alte Männer um die Tische, ihre Gehstöcke hängen an den Stuhllehnen. Ab und zu fällt ein Wort, hebt jemand ein Glas. In ruhigem Einvernehmen verbringen sie hier Stunden, bis es wegen des Mittagessens Zeit für den Heimweg wird. Für Hektik ist hier kein Platz.
Auch im nahen Castelo de Vide geht es gemächlich zu. Unterhalb der Burg, die den 4000-Seelenort überragt, schmiegen sich die Häuser des guterhaltenen alten jüdischen Viertels an den Hang. Die kleine Synagoge beherbergt heute ein Museum, das die Geschichte der Juden des Bergstädtchens und ihre Verfolgung vor 500 Jahren durch die Inquisition nachzeichnet.
Eine trutziges Kastell erhebt sich
in 860 Metern Höhe auch über dem
wenige Kilometer entfernten Marvão
mit seinem mittelalterlichen
Ortskern. Weit geht der Blick von
hier über Plantagen und lichte
Wälder hinweg ins Land.
Das winzige Dörfchen Lavre, in dem José Saramago dem elenden Leben ausgebeuteter Landarbeiterfamilien im frühen 20. Jahrhundert bis kurz nach der Nelkenrevolution 1974 nachging, liegt ganz im Westen des Alentejo. Erst das Ende der Diktatur brachte den Menschen endlich Hoffnung auf ein Ende von Hunger und Gewalt.
Heute bemüht sich die noch immer strukturschwache Region, den Tourismus voranzubringen. Und im Schatten der Algarve setzt sie dabei auf das, was sie selbst hat. „Wir zeigen den Leuten, was wir selbst mögen – das Ursprüngliche des Alentejo, das ländliche Leben und seine Genüsse”, sagt Olga Miguel. Gestresste Großstädter finden die ersehnte Ruhe, Familien viel Raum und Natur. Wie auf dem Landgut Herdade da Amendoeira nahe Arraiolos, wo Gäste in umgebauten Ställen wohnen und Käse und Honig aus eigener Herstellung genießen können. „Auf unseren Zimmern gibt es absichtlich keinen Fernseher und kein Telefon”, erklärt Rita Alves vom Gut. Nachts breitet sich tiefe Stille über den Olivenbäumen und Korkeichen aus.
Informationen
Anreise
Der Flughafen Lissabon ist von
mehreren deutschen Flughäfen aus
erreichbar.
Weiterfahrt in den
Alentejo am besten mit dem
Mietwagen.
Internet
Lektüre
José Saramago, Hoffnung im
Alentejo, rororo, 1987
Informationen