Gute Aussicht: Das trutzige Kastell von Marvão überragt das mittelalterliche Städtchen.

Stille über den Korkeichen

Der Alentejo im südlichen Portugal ist im Gegensatz zur Algarve kaum bekannt – zu Unrecht. Die Region lädt mit reizvoller Natur zum Entspannen ein. Auch hat eine wechselhafte Geschichte ihre vielfältigen Spuren hinterlassen.

Von Renate Brämer

Korkeichen prägen weite Bereiche der Landschaft.Knorrige Olivenbäume wechseln sich in scheinbar endloser Folge mit Steineichen und Eukalyptusbäumen ab. Hin und wieder duckt sich ein niedriges Gehöft auf den Boden, und ein paar schwarze Schweine wühlen zwischen Korkeichen die Erde auf. Ab und zu säumen die Häuser eines Dorfs die Straße, die gleich darauf wieder durch eine ausgedehnte Weidelandschaft mit Schafen und Ziegen führt.

Die Region Alentejo im Süden Portugals macht fast ein Drittel der Landesfläche aus, ist aber nur sehr dünn besiedelt. Gerade einmal fünf Prozent der knapp elf Millionen Portugiesen leben in dem 27 000 Quadratkilometer großen Gebiet zwischen der Algarve, der spanischen Grenze, dem Fluss Tejo und dem Atlantik. „Ein so weites Land. Ein Mensch kann hier sein Leben lang gehen, ohne sich jemals zu finden, wenn er verloren auf die Welt kam.“ So beschreibt Portugals Literaturpreisträger José Saramago das einstige Armenhaus Portugals in seinem Buch „Hoffnung im Alentejo.“

Ob Burg oder Kastell: Immer wieder schweift der Blick weit ins Land.André Benjamin Birken ist einer, der gern und viel in diesem weiten Land umhergeht. Der 40-jährige Klangkünstler ist der Liebe wegen vor Jahren aus Hannover in den nördlichen Alentejo gezogen, wo er heute geführte Wanderungen anbietet. „Mir hilft diese Landschaft eher, mich selbst zu finden, ich habe mich regelrecht in sie verliebt“, erzählt er.

Auch wenn er zunächst die dichten Wälder Norddeutschlands vermisst hatte, war der Deutsche schnell den Reizen seiner neuen Heimat erlegen. Er schwärmt von neolithischen Schätzen, von Steinkreisen und Dolmen, auf die er bei seinen Streifzügen immer wieder stößt. Und vom wilden Spargel, von delikaten Pilzen und von Heilkräutern, deren Verwendung und Nutzen er seinen Wandergruppen erklärt.

Évoras Kathedrale erhebt sich unübersehbar auf dem Stadthügel.Birken hat jedoch einen kurzen Weg, wenn es ihn nach der Einsamkeit und Stille in der Natur zu Geselligkeit und Kultur zieht. Denn er wohnt in Évora, der mit 57 000 Einwohnern größten der wenigen Städte des Alentejo und dessen urbanes Herzstück. Seit 1986 gehört die Altstadt mit einem Mauerring aus dem 14. Jahrhundert zum UNESCO-Weltkulturerbe. In der einstigen königlichen Residenzstadt haben unter anderem die Römer, die Westgoten und die Mauren ihre Spuren hinterlassen. So sind hoch oben auf dem Hügel noch die Säulen eines römischen Tempels zu sehen.

Von hier sind es nur wenige Schritte zu der Kathedrale im romanisch-gothischen Stil, die iIm Inneren mit einer Besonderheit aufwartet: der Darstellung einer schwangeren Maria.
Viele prunkvolle Gebäude, die zur Regierungszeit König Manuels I. im frühen 16. Jahrhundert entstanden sind, erinnern mit ihren maritimen Ornamenten wie Seilen und Knoten an die Zeit der großen Seefahrer und Entdecker. Dieser Architekturstil ist einzigartig und nur in Portugal zu finden.

Die Knochenkapelle in Évora ist ein Symbol der Vergänglichkeit.Unter den vielen Sehenswürdigkeiten Évoras sticht besonders die Knochenkapelle der São-Francisco-Kirche heraus, die Franziskanermönche um das Jahr 1600 errichtet haben. Sie hinterlässt wohl bei jedem Besucher einen tiefen Eindruck: In die Wände und Säulen sind die Schädel und Knochen von 5000 Toten eingelassen. „Nos ossos que aqui estamos – pelos vossos esperamus“ lautet der Spruch, der die Besucher am Eingang empfängt: „Unsere Knochen hier warten auf die euren“, bedeutet er in etwa.

Die Gebeine, die von mehreren Altstadtfriedhöfen zusammengetragen wurden, sind nicht nur ein Symbol für die Vergänglichkeit. „Sie zeigen auch, dass der Tod uns alle gleich macht“, sagt Fremdenführerin Olga Miguel. Denn die Größe der Schädel verrät zwar, wer als Kind und wer als Erwachsener starb. Doch niemand vermag mehr zu sagen, ob jemand arm oder reich, hoher Würdenträger oder Wäscherin war. Die Capela dos Ossos bewahrt ihre Geheimnisse.

Fast 8000 Studenten sorgen jedoch dafür, dass Évora mehr als eine Museumsstadt ist. Junge Leute mit Rastazöpfen klappen in den Cafés ihre Laptops auf, andere schlendern entspannt durch die malerischen Kopfsteingassen oder treffen sich abends zu einem Bier. Die Altstadt wird auch durch viele kleinen Läden belebt. Etliches, was hier angeboten wird, gibt es anderswo nicht: edle Handtaschen im Kroko-Look, Schuhe mit Plateausohlen, Krawatten, und sogar Regenschirme – ganz aus Kork gemacht. Rund 70 Prozent des portugiesischen Korks, der mehr als die Hälfte der Weltproduktion ausmacht, werden im Alentejo erzeugt.

Malerische Gassen winden sich in Portalegre zur Kathedrale hoch.Man begegnet den Korkeichen auch auf der Fahrt ins Barockstädtchen Portalegre nahe der spanischen Grenze immer wieder. Es ist berühmt für seine Teppich- und Gobelinmanufaktur,  auch die Korkverarbeitung spielt nach wie vor eine große Rolle. An vielen Gebäuden fällt – wie auch in den anderen Orten der Region – die Bemalung in warmem Gelb rund um Fenster und Türen auf. „Die Farbe soll vor dem bösen Blick schützen und symbolisiert außerdem Wohlstand“, erklärt Olga Miguel, die selbst im Alentejo geboren ist.

Im Café Alentejano nahe der Kathedrale  scharen sich am späten Vormittag vor allem alte Männer um die Tische, ihre Gehstöcke hängen an den Stuhllehnen. Ab und zu fällt ein Wort, hebt jemand ein Glas. In ruhigem Einvernehmen verbringen sie hier Stunden, bis es wegen des Mittagessens Zeit für den Heimweg wird. Für Hektik ist hier kein Platz.

Auch im nahen Castelo de Vide geht es gemächlich zu. Unterhalb der Burg, die den 4000-Seelenort überragt, schmiegen sich die  Häuser des guterhaltenen alten jüdischen Viertels an den Hang. Die kleine Synagoge beherbergt heute ein Museum, das die Geschichte der Juden des Bergstädtchens und ihre Verfolgung vor 500 Jahren durch die Inquisition nachzeichnet.

Der aufwendige alte Marmorbrunnen der Fonte da Vila in Castelo de Vide ist ein Blickfang.Eine trutziges Kastell erhebt sich in 860 Metern Höhe auch über dem wenige Kilometer entfernten Marvão mit seinem mittelalterlichen Ortskern. Weit geht der Blick von hier über Plantagen und lichte Wälder hinweg ins Land.

Das winzige Dörfchen Lavre, in dem José Saramago dem elenden Leben ausgebeuteter Landarbeiterfamilien im frühen 20. Jahrhundert bis kurz nach der Nelkenrevolution 1974 nachging, liegt ganz im Westen des Alentejo. Erst das Ende der Diktatur brachte den Menschen endlich Hoffnung auf ein Ende von Hunger und Gewalt.

Heute bemüht sich die noch immer strukturschwache Region, den Tourismus voranzubringen. Und im Schatten der Algarve setzt sie dabei auf das, was sie selbst hat.  „Wir zeigen den Leuten, was wir selbst mögen – das Ursprüngliche des Alentejo, das ländliche Leben und seine Genüsse”, sagt Olga Miguel. Gestresste Großstädter finden die ersehnte Ruhe, Familien viel Raum und Natur. Wie auf dem Landgut Herdade da Amendoeira nahe Arraiolos, wo Gäste in umgebauten Ställen wohnen und  Käse und Honig aus eigener Herstellung genießen können. „Auf unseren Zimmern gibt es absichtlich keinen Fernseher und kein Telefon”, erklärt Rita Alves vom Gut. Nachts breitet sich tiefe Stille über den Olivenbäumen und Korkeichen aus.

Informationen

Anreise

Der Flughafen Lissabon ist von mehreren deutschen Flughäfen aus erreichbar.
Weiterfahrt in den Alentejo am besten mit dem Mietwagen.

Internet

www.visitalentejo.pt

Lektüre

José Saramago, Hoffnung im Alentejo, rororo, 1987
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