Das Auftauchen aus dem Tiefschlaf
braucht ein Weilchen. Es ist erst
kurz nach 7 Uhr, und gerade hat
jemand ein paar Mal kräftig an die
Tür unseres Wohnmobils geklopft. Um
was es wohl geht, zu dieser für uns
unerfreulich frühen Stunde?
Blinzelnd werfe ich einen
vorsichtigen Blick durch das einen
Spalt breit geöffnete Fenster.
Draußen steht eine ältere Frau aus
einem der benachbarten Fahrzeuge.
„Der Ätna ist ausgebrochen”, ruft
sie mir hastig zu, ehe sie wieder
entschwindet. Sekunden später stehe
ich selbst im Freien, im
Schlafanzug, neben anderen, von
denen sich mancher auch nur schnell
einen Bademantel übergeworfen hat.
Und bin jetzt froh, dass mir dank
der anderen Camperin das
fantastische Schauspiel nicht
entgeht, das sie mit uns teilen
wollte.
Alle Blicke sind auf die mächtige
Rauchwolke gerichtet, die über
lodernden Flammen in die Höhe
steigt. Wie eine Fahne beugt sie
dann der Wind über dem Vulkan,
dessen schneebedeckter Gipfel im
Licht der ersten Sonnenstrahlen
glitzert. Doch auf einer Flanke
frisst sich schon ein schmaler
Lavastrom durch das Weiß. Einer der
Männer in der Runde entdeckt die
dunkle Spur als erster und
macht uns alle darauf aufmerksam.
Schon seit einer guten Stunde ist
der Mongibello – der Berg der Berge
oder gute Berg, wie er auf Sizilien
seit jeher auch genannt wird – aus
der scheinbaren Ruhe der
zurückliegenden Tage erwacht.
„Ich habe in der Nacht ein lautes Rumpeln gehört, bald darauf ging es los”, verkündet ein weiterer Bewunderer mit gedämpfter Stimme. Jetzt jedoch raucht und dampft der Berg ganz ohne Getöse, wie einer, der längst nicht mehr schreien muss, um Aufmerksamkeit zu finden und gesehen zu werden. Es ist der 5. Januar, an dem er zum ersten Mal in dem noch jungen Jahr 2012 spuckt und speit, ein wenig davon verrät, welche gewaltigen Kräfte sich in seinem Inneren verbergen.
Nicht nur von dem auf einem Hügel
gelegenen Stellplatz für Wohnmobile
in Giardini Naxos aus ist Europas
höchster aktiver Vulkan hervorragend
zu sehen, wenn nicht gerade Nebel
sein Haupt verhüllt. Auch beim Gang
durch die eher überschaubaren
Ausgrabungen des antiken Naxos am
Fuß der Anhöhe, der schon 735 v.
Chr. gegründeten ersten griechischen
Siedlung auf Sizilien, und beim
Bummel über die Hafenmole des
modernen Badeörtchens ist der rund
3350 Meter hohe Ätna immer
gegenwärtig. Er prägt sogar die
gesamte Region um Catania, mit dem
griechisch-römischen Theater von
Taormina als Logenplatz: Von dort
hat man einen besonders guten Blick
auf den Gipfel, falls das Wetter
mitspielt.
Wir hatten den Ätna, der wie ein
Wahrzeichen auf der größten Insel
des Mittelmeers in die Höhe ragt,
aber auch ganz aus der Nähe sehen
wollen. Am Neujahrstag hatten wir
uns deshalb mit dem Wohnmobil über
enge Straßen in die Höhe geschraubt,
vorbei am Städtchen Linguaglossa am
Nordhang des Vulkans. Je mehr Kurven
wir hinter uns ließen, desto dicker
wurden die Schneewehen am
Straßenrand. Mancher Autofahrer vor
uns stoppte, um sicherheitshalber
Schneeketten für die Weiterfahrt
aufzuziehen. Nur in langsamem Tempo
wagten wir uns noch ein Stück voran,
vorbei an Familien, die es in warmen
Schneeanzügen und Skistiefeln auf
die seitlichen Hänge zog: Die
versprachen sizilianischen
Winterspaß mit Schneebällen und
Schlitten, weitab von den Orangen-
und Zitronenhainen im milden Klima
unten am Meer.
Auf einer Höhe von 1990 Metern
stellten auch wir den Motor auf
einem großen Parkplatz ab. Nichts
war bei unserem Besuch von der
eruptiven Gewalt zu spüren, mit der
der Ätna immer wieder seine Umgebung
bedroht. In der Stille entfaltete
die bizarre Poesie schwarzer
Lavabrocken inmitten eisiger
Schneeschichten ihren Reiz. Dahinter
schimmerte in der Ferne das Meer,
und Spaziergänger stapften
gemächlich durch die ausgedehnte
friedliche Winterlandschaft.
Doch der Ätna, einer der aktivsten Vulkane der Welt, hat es buchstäblich in sich: Nach seinem bislang schwersten Ausbruch 1669 zerstörte seine Lavaflut große Teile Catanias, der mit mehr als 300.000 Einwohnern heute zweitgrößten Stadt Siziliens. Auch in der gerade vergangenen Dekade rumorte er mehrmals, besonders heftig im Oktober 2002, als sein Ausbruch zahlreiche Schäden verursachte und danach viele Wochen lang die Erde bebte. Damals ergoss sich die Lava auch über die Station Etna Nord mit Hotels, Restaurants, Souvenirläden und einer Skischule – etwa dort, wo der große Parkplatz heute einen Neubeginn markiert. 2004, 2006, 2008 und 2011 kam es zu weiteren, kleineren Ausbrüchen. Immer wieder müssen die Bergbewohner bangen, wenn der Mongibello es nicht nur bei einem kleinen Muskelspiel belässt, wie am 5.Januar 2012.
Spuren hat aber auch dieses
hinterlassen. Das stellen die
Neugierigen fest, die es noch am
gleichen Tag von Süden her auf den
Berg zieht, nur Stunden, nachdem der
Ätna wieder zur Ruhe gekommen ist.
Was für ein anderes Bild bietet sich
nun: Das zuvor unberührte Weiß des
Schnees ist von unzähligen dunklen
Sprenkeln übersät, und die
Mitarbeiter der Ausflugslokale haben
alle Hände voll zu tun, um die Räume
von Asche und Staub zu befreien.
Sogar auf den Dächern kommen die
Besen zum Einsatz. Räumfahrzeuge
sind auf den rutschigen Straßen
unterwegs, die nun ein feines
Granulat bedeckt.
Für die, die hier leben, aber wohl
nur Routinearbeiten: Das Institut
für Vulkanologie in Catania, das den
Ätna ständig beobachtet, hat allein
für das Jahr 2011 an die 20 Mal eine
erhöhte Aktivität des Bergs
verzeichnet. Mit Rumpeln,
Feuerspucken und Ascheregen. Wann es
dazu kommt, folgt aber den ganz
eigenen Gesetzen des Mongibello, in
dessen Tiefe die Römer und alten
Griechen ihren Feuergott
Vulcanus beziehungsweise
Hephaistos vermuteten. „Ich hätte so
gern ein kostenloses
Silvesterfeuerwerk gehabt”, scherzt
einer der Touristen aus dem Norden.
Das hätte auch uns gefallen. Pech
gehabt: Dafür war der 5. Januar dann
doch ein bisschen zu spät.
Informationen
Anreise
- Mit dem Flugzeug: Der nächste Flughafen ist in Catania.
- Mit dem Auto: Die lange Fahrt durch ganz Italien lässt sich durch eine Fährpassage von Genua nach Palermo kräftig abkürzen.
Internet
Seiten zum Ätna:
Lektüre
Zwei kompakte Reiseführer zum ersten Überblick über Sizilien sind:
- Merianlive! Sizilien/Liparische Inseln, Ralf Nestmeyer, 2010 München
- Marco Polo Liparische Inseln, Hans Bausenhardt, Reisen mit Insider-Tipps. 2010