Heißer Zorn, kalter Herd

Von Renate Brämer

Gut, dass wir noch einen Tisch in dem vollen Lokal ergattert haben. Ein Restaurant reiht sich ans andere im malerischen Schaufenster Fischereihafen in Bremerhaven. Doch dieses, jenseits der vielfachen Backfisch- und Bratkartoffelbetulichkeit, gefällt uns eindeutig am besten. Vielversprechend steigt sanfter Knofelduft von der mediterranen Fischplatte empor, die wir uns jetzt gönnen. „Meine Lieblingstiere", verkünde ich freudig und spieße die erste Garnele auf die Gabel.

Aufgegabelt: Garnelen adeln viele Fischteller.Es dauert ein bisschen, bis wir die wachsende Unruhe um uns herum wahrnehmen. Und die begehrlichen Blicke auf unsere Teller - die letzten, die die Kellnerin aus der Küche getragen hat. Nach uns bekommt niemand mehr, was er bestellt hat, Hunger hin, Appetit her. Die junge Bedienung geht mit leeren Händen verlegen von Tisch zu Tisch. Drucksend rückt sie mit der Erklärung raus: Der Koch ist weg, Knall auf Fall, nach Zoff mit dem Chef! Und das am Samstagabend, zur Hauptgeschäftszeit. Murren, Stühlerücken, Aufbruch - die Mehrheit der enttäuschten Gäste entschwindet schnell.

Doch immerhin drei Tische bleiben besetzt. Und die Kellnerin hat ihre große Stunde: Ihr Krisenmanagement ist bewundernswert.Das Männersextett am Nachbartisch bekommt fürs erste ruckzuck ein paar Salzstangen zum Bier. Als nächstes bietet sie an, selbst ein paar kalte Vorspeisen zu zaubern. In einer Fortbildung habe sie das nämlich mal gelernt, erklärt sie verbindlich. Die Jungs sind's zufrieden, die Stimmung steigt. Auch an dem Tisch in der Ecke, wo ein Paar sich über die verblüffende Situation nicht etwa ärgert, sondern amüsiert.

Wir selbst - zwei mittlerweile gut gesättigte Frauen, die ihr unerwartet exklusives Mahl Bissen für Bissen genossen haben - stellen angeregt Spekulationen an. Gab's eine Eifersuchtsszene hinter der Küchentür? Hat der Koch dem Chef die Frau ausgespannt und der ihn deshalb gefeuert, ohne Rücksicht auf die rappelvolle Bude? Oder ist der Küchenmeister zornlodernd abgerauscht, weil's genau umgekehrt war?

Schon beim Bezahlen schrumpft das vermeintliche Drama aber zum schlichten Zusammenprall der Temperamente. Sonst könnte die Bedienung wohl kaum so sicher sein: „Morgen ist alles okay - und der Koch wieder da."