Das klare Wasser schießt unter dem steinernen Steg hervor, ergießt sich als kleiner Sturzbach in den Alzon. Dort, wo es am stärksten brodelt und weiße Gischt aufschäumt, zieht ein Schwan mit gelassener Eleganz seine Kreise. Scheinbar mühelos gleitet er auf den Wirbeln dahin. Der große Vogel hat sich für sein Schauspiel ein besonderes Gewässer ausgesucht: Das verrät dem Betrachter eine Tafel an dem einstigen Mühlengebäude, das ans Ufer grenzt. Nur wenige Schritte entfernt haben die Quellen der Eure ihren Ursprung, deren Wasser die Römer einst über ein 50 Kilometer langes Aquädukt von dem Tal bei Uzès bis nach Nîmes leiteten.
Die Stadt, die in der Antike nach dem Gott der Quellen benannt war und Nemausus hieß, litt im Jahr 50 nach Christus unter akutem Trinkwassermangel. 20 000 Menschen lebten mittlerweile dort, und mit der ständig wachsenden Einwohnerzahl wuchs auch der Wasserverbrauch. Um den Bedarf in den Haushalten, öffentlichen Bädern, zur Gartenbewässerung, in den zahlreichen Handwerksbetrieben und Wäschereien zu decken, reichten die Quellen im und nahe dem Ort kaum mehr aus. Also schwärmten römische Suchtrupps aus und wurden schließlich nahe bei dem heutigen Uzès fündig, das damals noch Ucetia hieß. Am linken Ufer des Flusses Alzon stießen sie auf die ergiebigen Eure-Quellen – und der Bau des Aquädukts konnte beginnen.
Wer die fast 230 Kilometer lange
Eure im Nordwesten Frankreichs vor
Augen hat, nach der ein ganzes
Département benannt ist, hält hier
im Süden jedoch vergeblich nach
einem sichtbaren Flusslauf Ausschau.
Unter dem Namen Eure verbirgt sich
bei Uzès eine wasserführende Schicht
in einem Kalkmassiv. Deren Nass
drängt dort gleich an zehn Stellen
an die Erdoberfläche, und das mit
Macht. Noch heute ist das Tal,
durch das sich der 20 Kilometer
lange Alzon windet, nicht nach
diesem, sondern nach den kräftig
sprudelnden Trinkwasserquellen
benannt: la Vallée d’Eure.
Beim Durchwandern des schönen Tals stößt man bald auf die Spuren der antiken Wasserleitung, die Ausgrabungen erst vor wenigen Jahrzehnten zutage befördert haben. Info-Tafeln verdeutlichen, welch riesige Herausforderung es für die Ingenieure war, das Trinkwasser bis ins antike Nemausus zu leiten. Nur 25 Kilometer war die Stadt von Utecia entfernt – doch doppelt so lang musste die kunstvolle Wasserleitung ausfallen, mit deren Bau Hunderte von Arbeitern viele Jahre lang beschäftigt waren. Denn das Gelände, dessen natürlichen Gegebenheiten der Verlauf des Kanals angepasst wurde, barg viele Schwierigkeiten. Hauptproblem war das schwache Gefälle von durchschnittlich nur 25 Zentimetern pro Kilometer. Dass nach Fertigstellung der Anlage pro Tag durchschnittlich 20000 Kubikmeter Wasser nach Nemausus gelangten, in Spitzenzeiten sogar 35000 Kubikmeter, ist eine Meisterleistung.
Auf einem großen Stein im Vallée
d’Eure bekommen Spaziergänger und
Radler ganz akribische Zahlen
serviert: dass Uzès genau 71,128
Meter über dem Meeresspiegel liegt,
Nîmes hingegen nur 58,945 Meter, der
Höhenunterschied folglich 12,183
Meter beträgt. Vor den Pfeil, der
auf „Des Sources”, die Quellen,
hinweist, hat ein Witzbold „Manon”
gekritzelt. So erfährt jeder, dass
er Marcel Pagnols „Manon des
Sources” gelesen hat, in der
deutschen Übersetzung „Die Wasser
der Hügel”. Ein guter Lesetipp
ist das allemal. Das zweiteilige
Werk unterstreicht eindrücklich, wie
lebenswichtig die Versorgung mit
Wasser ist. Im ersten Teil geht es
um einen früheren Steuerbeamten, der
als Landwirt in einem Bergdorf im
Hinterland von Marseille zugrunde
geht, weil ihm böswillige Nachbarn
die Quelle auf seinem Gelände
verstopft haben – glänzend verfilmt
mit Gérard Depardieu in der
Hauptrolle als Jean de Florette.
Dafür will Jeans Tochter Manon
später Rache nehmen.
Nur wenig weiter entdeckt man schon
einige Relikte des historischen
Aquädukts, das zu 90 Prozent
unterirdisch verlief. Ein altes
Regulierungsbecken ist noch zu
sehen, auch sind Teile des etwa
mannshohen Kanals mit seiner
Gewölbedecke gut erhalten. Bis die
römische Wasserleitung zwischen Uzès
und Nîmes versiegte, sollte sie
immerhin etwa 500 Jahre lang gute
Dienste tun. Erst Anfang des 6.
Jahrhunderts nach Chr. wurde sie
wegen zunehmender Kalkablagerungen
und Verunreinigungen aufgegeben.
Bei ihrem berühmten Teilstück, der imposanten Brücke über den Gardon bei Vers, stoppen heute noch Scharen kamerabewehrter Touristen aus aller Welt. Der fast 50 Meter hohe Pont du Gard gehört seit 1985 zum UNESCO-Welterbe. Viele bleiben dennoch nur für ein paar Klicks, um ihn abzulichten. Wer sich mehr Zeit nimmt, kann jedoch im nahen Museum eine Menge über das gesamte Aquädukt, seinen Verlauf und seine mühsame Entstehung erfahren. So lässt sich beispielsweise per Audiosystem mitverfolgen, wie Gnaeus Domitius Afer, der als so genannter curator aquarum für die antike Wasserleitung zuständig war, seinem Neffen den Bau des Äquadukts erklärt. Anhand alter Manuskripte konnte das Gespräch rekonstruiert werden.
Soviel Aufmerksamkeit wird dem
weitaus weniger spektakulären
Ursprung des Aquädukts bei den
Eure-Quellen nicht zuteil. Doch
letztere haben bis heute ihre
eigenen Verdienste: Für die
Wasserversorgung von Uzès sind sie
unverzichtbar. Seite Mitte des 18.
Jahrhunderts deckte das Quellwasser
den kompletten Bedarf des Städtchens
mit seinem schönen historischen
Kern. Erst vor wenigen Jahren musste
eine neue Bohrstelle mit Pumpstation
angelegt werden, um die Versorgung
mit Trinkwasser auch zu
Spitzenzeiten sicherzustellen.
Vorwiegend sorgt jedoch noch immer
die Fontaine d’Eure – so heißen die
Quellen schlicht im Sammelbegriff –
dafür, dass sie nicht auf dem
Trockenen sitzen.
Informationen
- Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, www.rendezvousenfrance.com
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