Kein Kran, sondern ein Hamsterrad hilft bei dem Forschungsprojekt beim Bewegen von Lasten.

Stein für Stein wächst eine trutzige Burg

Projekt Guédelon: 190 Kilometer von Paris ersteht in Burgund das Mittelalter wieder auf. Ein Blick auf die Baustelle.

Von Renate Brämer

Der Schmied lässt sich ebenso wie die anderen Handwerker bei der Arbeit zuschauen.Tiefrot glüht das Ende der Eisenstange in den Flammen. Rot genug, findet der Schmied nach einem prüfenden Blick. Schnell trägt der Mann im derben Kittel das Werkstück zum nahen Amboss. Unter seinen wuchtigen Hammerschlägen krümmt es sich bald zur mächtigen Öse. Wie heiß das Feuer in der Esse wohl ist? fragt ein neugieriger Knirps unter den Zuschauern.
 „Aucune idée", ruft ihm der Handwerker zu: „Keine Ahnung." Und er müsse das auch gar nicht wissen, erklärt er. Denn seine Arbeit orientiert sich nicht an einer Temperaturmessung, sondern  allein an der Färbung des erhitzten Metalls – wie es im Mittelalter eben auch üblich war.

Diese ferne Zeit ersteht derzeit rund 190 Kilometer von Paris entfernt wieder ein Stück weit auf. In Burgund, zwischen den Ortschaften St.-Sauveur-en-Puisaye und St.-Amand-en-Puisaye, wächst seit sieben Jahren mitten im Wald die trutzige Burg von Guédelon empor. Erst nach einem Vierteljahrhundert wird der Neubau wie aus dem Geschichtsbuch fertig sein, an dem zahlreiche Handwerker ausschließlich nach den Methoden des 13. Jahrhunderts arbeiten.

Die reichlich ausgefallene und anfangs vielbelächelte Idee zu dem Projekt war Michel Guyot, dem Eigentümer des nahen Schlosses Saint-Fargeau, bei dessen Restaurierung gekommen. Wie konnten die Bauten des Mittelalters fast nur mit Menschenkraft überhaupt errichtet werden? fragte er sich. Heute ist die Baustelle von Guédelon ein riesiges Freilichtlaboratorium zur Erforschung mittelalterlicher Bautechniken. Die Burg wird streng nach den architektonischen Regeln errichtet, die Frankreichs König Philippe Auguste zu Beginn des 13. Jahrhunderts aufgestellt hat. Jacques Moulin, der Chefarchitekt der nationalen Behörde für Denkmalschutz, hat die Pläne dafür gezeichnet. Ein Team aus rund drei Dutzend Archäologen, Kunsthistorikern und Burgenkundlern kümmert sich um die wissenschaftliche Betreuung des von einer Gesellschaft getragenen Projekts. 

Steine für den Bau werden schweißtreibend im eigenen Steinbruch gebrochen.Schon die Gewinnung des Baumaterials geht stilecht vor sich. Im eigenen Steinbruch hauen Arbeiter schweißtreibend Blöcke aus dem Eisensandstein. Moderne Baukräne, die die schweren Quader auf die höher gelegene Baustelle hieven könnten, sind natürlich tabu. Wie überdimensionierte Laufräder wirken die hölzernen Trommelwinden, die Lasten von bis zu 500 Kilogramm bewältigen, wenn ein Mann sich darin kräftig als „Hamster" abmüht. Die Zimmerer der Burg haben sie selbst gebaut, genau wie die hölzerne Brücke über den Burggraben.

Die 680 Nägel, die die Eichenkonstruktion zusammenhalten, stammen aus der eigenen Schmiede. Der Schmied ist ohnehin ein vielbeschäftigter Mann: Zwei Werkzeugsätze verschleißt jeder der an der Burg arbeitenden Steinmetze Tag für Tag, die repariert oder ersetzt werden müssen. Auch Maurer, Fuhrleute, Korbmacher und die Töpferin, die die Baustelle mit Trinkgefäßen und Töpfen versorgt, lassen sich bei ihrem Tagewerk bereitwillig über die Schulter schauen. Ein Zimmermann erklärt geduldig, warum Rechts- und Linkshänder Äxte mit unterschiedlich gebogenen Stielen zum Behauen von Baumstämmen benutzen. Geduld braucht auch der Seiler, der seine Faserstränge dreht und verflechtet.

Eine Tafel zeigt, wie die fertige Burg in vielen Jahren aussehen soll.„Man bekommt ein ganz anderes Verhältnis zur Zeit – mit Hektik kommt man da nicht weit", meint ein Besucher versonnen. Nur den Männern, die in einer Ecke des Innenhofs der Burg hantieren, unterläuft ein klitzekleiner Schönheitsfehler: Sie verwenden ein gelbes Maßband der Gegenwart, um die Größe der Bodenplatten festzulegen.
Nicht nur die derzeit 45 Vollzeitkräfte arbeiten bei dem ehrgeizigen Projekt mit, das in wenigen Jahren zu einer touristischen Hauptattraktion des Departements Yonne geworden ist – allein 183 000 Besucher kamen 2003. Viele Gäste aus aller Welt kommen als ehrenamtliche Helfer wieder. Wie die junge Lehrerin aus Paris, die in mittelalterlichem Outfit Steinplatten in den Bodenbelag einpasst. Ist das unter der heißen Sonne keine mörderische Schufterei? Sie verneint lachend: „Für mich sind das richtige Ferien, ich  bin schon zum zweiten Mal hier."

Informationen

  • Guédelon chantier médiéval, D 955,89520 TreignyTél : 03 86 45 66 66 (Vorwahl Frankreich)Email:  [email protected]
  • Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, [email protected]

Internet

www.guedelon.fr

www.rendezvousenfrance.com

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