Vermutlich hatte Theodor Baron von
Liebieg das Gefühl, mit rasanter
Geschwindigkeit unterwegs zu sein:
Dreimal so schnell wie ein Fußgänger
rollte sein Benz Victoria 1894 über
holprige, bestenfalls
gepflasterte Straßen, mit
einem Spitzentempo von 18 Kilometern
und einem Schnitt von 13,5
Kilometern in der Stunde. Dennoch
brauchte er aus heutiger Sicht eine
Menge Geduld, um mit seinem Auto
eine immerhin 2500 Kilometer lange
Rundreise von seinem Heimatort
Reichenberg in Böhmen
– heute
Liberec in Tschechien
– bis nach
Reims in Frankreich und teilweise
zurück zu bewältigen.
Ein schmuckes Exemplar dieses frühen Autotyps, dessen Optik noch sehr an eine Pferdekutsche erinnert, ist im elsässischen Mulhouse zu bewundern, zusammen mit fast 400 weiteren Oldtimern. Das Nationale Automobilmuseum in der französischen Stadt zeichnet mit der einzigartigen Sammlung Schlumpf die Geschichte des Autos vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart nach. Auf einer Fläche von rund 25 000 Quadratmetern werden die historischen Fahrzeuge aus aller Welt in weitgehend chronologischer Reihenfolge liebevoll präsentiert. Vertreten sind klangvolle Namen wie Panhard und Levassor, Peugeot, Citroën, Maserati, Ferrari und Bugatti – allein diese Exklusivmarke stellt fast 130 Ausstellungsstücke.
Zu den Glanzstücken der Ausstellung
gehören ein luxuriöser Bugatti
Royale Coupé Napoléon aus dem Jahr
1930, der aus dem Besitz von Ettore
Bugatti stammt.
Das Museum zeigt auch einen Nachbau eines Bugatti Royale, den der französische Industrielle Armand Esders für sich selbst in Auftrag gegeben hatte, weitgehend aus Originalteilen, und liefert die schrullige Anekdote dazu gleich mit: Der Geschäftsmann wollte bei Dunkelheit nicht fahren – und ließ die ordnungsgemäß mitgeführten Scheinwerfer deshalb nur bei einer Polizeikontrolle für eine kurze Zeit anschrauben.
Auch vor einem Rolls Royce Silver Ghost von 1924, der einst Charlie Chaplin gehört hat, bleibt fast jeder Besucher bewundernd stehen. Ältere Modelle sind ebenfalls zu sehen: Vor dem ersten Weltkrieg galten die Silver Ghosts von Rolls Royce als die technisch fortschrittlichsten Autos der Welt.
Unter zahlreichen Mercedes Benz
zeigt die Sammlung auch ein
Cabriolet 380 aus dem Jahr
1933,
einer der ersten Serienwagen mit
vier voneinander unabhängigen
Reifen. Zum echten Sportwagen taugte
das 130 Kilometer pro Stunde
schnelle Fahrzeug aber nicht.
Immerhin bringt es rund 2000
Kilogramm Eigengewicht auf die
Waage.
Wenig weiter steht ein Mercdes Benz auf dem Schotterbett, bei dessen Anblick sich mancher verwundert die Augen reibt: „Ist das nicht ein VW Käfer?” Die Ähnlichkeit ist verblüffend, aber keineswegs ein Zufall. Denn Ferdinand Porsche, der damals als technischer Direktor bei Daimler Benz beschäftigt war, hat den Coach Découvrable 170 H im Jahr 1937 als Auto für breite Bevölkerungsschichten konstruiert. Nach seinem Wechsel zu Volkswagen entwarf er ein Jahr später den legendären „Käfer” – ein Erfolgsmodell ohnegleichen. Innerhalb von 60 Jahren rollten 24 Millionen Stück vom Band, von dem Coach Découvrable 170 H wurden gerade einmal 1500 Exemplare gebaut.
Neben viel Glanz bietet das Museum
aber auch Kurioses
– wie den
zweisitzigen Wagen, der 1923 in
England gebaut wurde. Der Scott
Tricon kommt mit nur drei Rädern in
ungewöhnlicher Anordnung aus. Weil
das Fahrzeug ursprünglich zum
Transport von Kanonen konstruiert
worden war, befindet sich anstelle
des rechten Vorderrads eine Lücke.
Auf uneingeweihte Betrachter wirkt
dieser Anblick natürlich wie ein
Defekt. Nur noch fünf Exemplare
dieses Fahrzeugs gibt es heute noch
– das
Exponat in Mulhouse ist eine
Rarität.
Die jüngere Autogeschichte spiegelt
ein 2CV aus dem Baujahr 1954, die
berühmte „Ente” von Citroen. Gleich
daneben steht ein ostdeutscher
„Trabant” aus dem Jahr 1986,
unverwechselbares Relikt der
früheren DDR.
Die Sammlung ist der Autoleidenschaft der Brüder Hans und Fritz Schlumpf – dieser hatte seit 1939 mit einem Bugatti 35B an zahlreichen Rallyes teilgenommen – zu verdanken. Die Textilfabrikanten mit Werken im Elsass und in Nordfrankreich kauften hunderte hochkarätiger Fahrzeuge in einer wahren Sammelwut zusammen und ließen sie restaurieren. Ein teures Hobby mit gravierenden Folgen: Die Schlumpfs setzten dabei ihre Textilfabriken aufs Spiel und trieben sie in den Ruin. 1977 verloren deshalb mehr als 2000 Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze. Bei einem Streik besetzten die Entlassenen die Fabrikhalle mit den Autos und blockierten sie.
1981 kaufte eine
Eigentümervereinigung aus der Stadt
Mulhouse, dem Département Haut-Rhin,
der Region Elsass, der Industrie-
und Handelskammer Mulhouse, dem
französischen Automobilclub, der
Société Panhard sowie dem Komitee
des Pariser Automobilsalons
schließlich die Sammlung aus der
Konkursmasse auf. Ein Jahr später
wurde das Nationale Automobilmuseum
eröffnet,
seitdem begehrtes Pilgerziel für
Oldtimerfans.
Die meisten haben schnell ihre Favoriten in der Ausstellung ausgemacht, die auch die Nachbildung einer Formel-1-Rennstrecke umfasst. Für Klaus, der eigens aus Deutschland angereist ist, gehört der Bugatti Royale Coupé Napoléon unbedingt dazu. Aber bei weitem nicht nur der. „Viele der Luxusautos der dreißiger Jahre haben es mir angetan", schwärmt er.
Informationen
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Cité de l’Automobile, Nationales
Automobilmuseum, Sammlung
Schlumpf
192, avenue de Colmar – Postfach 1096
F-68051 Mülhausen CEDEX
Tel.:+ 33 / 3 89 33 23 - 21 oder – 23
Fax: +33 / 3 89 32 08 09
E-Mail: [email protected]
- Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, www.rendezvousenfrance.com
Internet
Öffnungszeiten
Das Museum ist ganzjährig sieben
Tage pro Woche
ab 10 Uhr
geöffnet (außer am 25. Dezember).
Anfahrt
über Autobahn A35 und A36, Ausfahrt
Mulhouse
Centre.