Hölzerne Arkaden umrahmen den zentralen Platz in der einstigen Katharerstadt - auch ohne Feste eine reizvolle Kulisse.

Poetisches Puppenspiel vor mittelalterlicher Kulisse

Das Städtchen Mirepoix am Fuß der französischen Pyrenäen wird einmal im Jahr zur Bühne von Marionettentheatern aus ganz Europa

Von Renate Brämer

Die „Puppa Giganta" der Compagnie L'Ombrine et Le Fantoscope ist ein ungewöhnlicher Blickfang. Mancher Passant in der kleinen Straße hält verblüfft inne und nimmt sich Zeit für einen neugierigen Seitenblick: Vor seinen Augen zerfällt gerade eine riesige, skurrile Gestalt in ihre Einzelteile. Der feuerrote Haarschopf verschwindet zuerst in einem Kasten, dann die birnenförmigen weißen Brüste, und zuletzt ist nur noch der mächtige Bauch sichtbar, der sich mit seinem winzigen Nabel nach vorne wölbt. Daneben steht nun eine schlanke Person in Ringelstrümpfen, gerade einmal halb so groß wie die Figur, die sie Minuten zuvor noch überragte.

Einmal im Jahr ist das Städtchen Mirepoix am Fuß der Pyrenäen fest in der Hand der Puppenspieler. Seit 1988 verwandeln Teams und Theater aus ganz Europa den kleinen Ort im Département Ariège mit rund 3250 Einwohnern in der ersten Augustwoche in eine große Bühne. Beim internationalen Marionettenfestival sind Puppen ganz unterschiedlicher Art zu sehen – von der ungewöhnlichen „Puppa Giganta” der Compagnie L’Ombrine et Le Fantoscope aus Toulouse, die gerade nach einem Auftritt in ihre Bestandteile zerlegt worden ist, bis zu grazilen Märchengestalten in traditionellem Stil und gnomenhaften Fantasiefiguren.

Die überdachte Halle auf dem Platz ist Veranstaltungsort ebenso wie Besucher- und Künstlertreff.Auf dem großen Platz mitten in der Altstadt, der Place Maréchal Leclerc, gelangen die Besucher direkt zum zentralen Ort des Festivals: Eine überdachte Halle fungiert dort als Empfangssaal und Bühne, als Bar und Café zugleich. Das liebevoll ausgetüftelte Dekor weist mit jedem Detail und viel Witz darauf hin, dass sich nun einige Tage lang alles um das Marionettenspiel dreht.  

Drei lebensgroße Gestalten schweben wie an einem riesigen Mobile unter der Decke. Eine Frauenfigur im gelben geblümten Kleid mit grellrotem Mund hebt sich als Farbtupfer von einem  männlichen Pendant ab, dessen Kleidungsstil in manchem Großraumbüro wiederzufinden ist, und ein Wesen in gestreifter Weste und Stiefeln ergänzt das Trio.  An anderer Stelle lugt ein griesgrämig wirkender kleiner Kahlkopf überraschend aus einer Zinkwanne hervor. Und vor der Bar baumeln kräftige Beine: Sie konterkarieren das geschäftige Umherwuseln der Bedienung jedesmal, wenn die einem Durstigen ein  Getränk herüberreicht –  und dann scheinbar auf dem Tresen sitzt.

Hoch oben unter der Hallendecke schwebt ein skurriles Mobile mit drei höchst unterschiedlichen Figuren.In einem abgetrennten Winkel der Halle sitzen große und kleine Zuschauer gebannt vor einer Bühne. Etliche Nachwuchskünstler geben hier nacheinander einen Einblick, wie ihre Stücke entstehen und Gestalt annehmen, präsentieren nun vor Publikum ihre Entwürfe. Gerade bewegt eine Puppenspielerin  sachte die Figur eines alten Weiblein mit Spitzenumhang, ein stilisierter Baum und ein paar wenige Stühle genügen als Kulisse für die Handlung.

Das Programm des Festivals ist so vielfältig wie die Marionetten und Puppen selbst. Im Sommer 2010 geht es unter dem Motto „(Un)gehorsam” um die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft – und jeder Künstler, jedes Ensemble nimmt sich des Themas auf ganz eigene  Weise an. 

Gebannt verfolgen die Zuschauer in einem Winkel der Halle die Vorführungen von Nachwuchskünstlern.Nicht nur die zentrale Halle ist Ort für Aufführungen, sondern auch die Straßen und Plätze des Städtchens selbst. Mit seinen mittelalterlichen Fachwerkhäusern über reich verzierten hölzernden Arkaden, den so genannten couverts, bietet es eine nicht minder sehenswerte Kulisse für das Festival. Ein besonderer Blickfang ist das Haus der Konsuln mit seinen zahlreichen geschnitzten Tier- und Menschenköpfen, das heute ein Hotel beherbergt. Zahlreiche kleine Läden beleben das Erdgeschoss der Häuser, ebenso kleine Restaurants und Cafés.

Wo auch immer Künstler eine Kostprobe ihres Könnens geben, sind sie schnell von einer Traube von Zuschauern umringt. Scharen von Besuchern flanieren von Spielort zu Spielort, lassen sich zwischendurch zu einer Pause an den Tischchen der Cafés nieder und werfen zuweilen auch einen Blick in die Kathedrale Saint Maurice.  

Viele Cafés und kleine Läden verlocken in dem mittelalterlichen Städtchen zu einem Einkaufsbummel mit Einkehr.Der ab 1343 errichtete frühere  Bischofssitz ist ein Ort der Ruhe im quirligen Trubel, der nun für Tage rund um seine dicken Mauern herrscht. Denn auch ein großer Kunsthandwerkermarkt begleitet das Festival in dem malerischen Ort, in dem im frühen 13. Jahrhundert sehr viele Katharer lebten.

Die Altstadt ist noch immer von der historischen Stadtmauer umgeben. Das Gelände gegenüber dem Friedhof, auf dem viele der Künstler mit ihren Kleinbussen und Transportern Quartier bezogen haben, liegt jedoch außerhalb – mit der Mehrzweckhalle an der alten Bahnlinie als Kantine und Treffpunkt. Auf dem Areal, auf dem sonst nur einige Wohnmobile mit Touristen stehen, ist während des Festivals kaum mehr ein Winkel frei.

Fabien Bondil von der Compagnie La Valise beantwortet Fragen zu seiner Märchenvorführung Les Seaux.                   Abends strömen die Puppenspieler und auch mancher Besucher mit rollendem Zuhause dorthin zurück, vorbei an einer der letzten Vorführungen des Tages in dem kleinen vorgelagerten Park. Im Licht der Scheinwerfer verzaubert ein Künstler der Compagnie La Valise gerade sein Publikum – mit einer altmodischen großrädrigen Karre als Bühne und Kulisse für seine Marionette. Er zeigt ein poetisches Märchen, in dem ein kleines Mädchen um seine tote Mutter trauert – und schließlich erfährt, dass es sie um deren Friedens willen doch loslassen muss. Noch ein paar kleine magische Momente, ehe es endgültig Nacht wird....

Informationen

Allgemein

Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, [email protected], www.rendezvousenfrance.com

Anreise

Mirepoix liegt an der Straße  D119, 48 Kilometer südwestlich von Carcassonne, im Département Ariège. Man errreicht es

  • mit dem Auto: von Toulouse über die Autobahn A 61, dann weiter auf der A 66 in Richtung Foix Andorre, Ausfahrt Mirepoix; von Carcassone Anfahrt über die A 61, Ausfahrt Bram/Mirepoix.                          
  •  mit dem Flugzeug: Der Flughafen  Carcassone ist  etwa 40 Kilometer entfernt, der Flughafen Toulouse 100 Kilometer.
  • mit dem Zug: Es gibt eine TGV-Verbindung nach Toulouse sowie nach Carcassonne.

Internet


 

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