Mehr Stille geht eigentlich gar
nicht. Es ist Mittagszeit, und die
Straßen und Gassen von Bugarach sind
wie leergefegt. Langsam schlendern
wir an Häusern mit geschlossenen
Fensterläden vorbei. Auch das
Rathaus, vor dessen Fassade schlaff
die Trikolore hängt, ist jetzt
verriegelt. In der Krone der Platane
vor der ebenfalls geschlossenen Post
hat sich ein vergessenes Skateboard
verhakt. Dass das Restaurant Les
Savoirs du Terroir uns ebenfalls
nicht mit offener Tür erwartet,
damit haben wir jedoch nicht
gerechnet: Uns knurren allmählich
die Mägen. Eine Alternative tut sich
auch am Ortsrand nicht auf. Alle
Gerichte seien bereits ausgegangen,
verkündet der Mann hinter dem Tresen
des Schnellimbisses, wo zwei
Engländerinnen gerade die letzten
Reste von ihren Tellern aufspießen.
Und das Restaurant La Ferme de
Janou, auf das wir unsere letzte
Hoffnung setzen, hat seine Küche
ebenfalls gerade geschlossen. Um
noch etwas Warmes auf den Teller zu
bekommen, sind wir eine knappe halbe
Stunde zu spät.
Sogar um ein ganzes Jahr und neun
Monate haben wir jedoch das Ereignis
verpasst, das dem verschlafenen
Pyrenäendorf mit etwa 200 Einwohnern
südlich von Carcassonne im
Departement Aude einen nie zuvor
erlebten Medienrummel beschert
hatte. Weil am 21. Dezember 2012
angeblich der Weltuntergang
bevorstand, machten sich schon lange
vorher Scharen von
Abenteuerlustigen, Esoterikern und
Spinnern auf den Weg in den Ort am
Fuß des 1231 Meter hohen Pic de
Bugarac. Hinein kamen sie am
punktgenauen Datum aber nicht: Damit
Bugarach nicht völlig überrannt
wurde, wurde das Dorf
sicherheitshalber einige Tage lang
weiträumig abgeriegelt. Mehr als 150
Polizisten waren im Einsatz, um den
unerwünschten Zustrom zu verhindern.
Die bevorstehende Apokalypse hatte
sich vermeintlich aus dem
Maya-Kalender herauslesen lassen, in
dem damals eine Periode zu Ende
ging. Und Rettung versprach nur der
Pic bei Bugarach – zumindest wenn
man den recht abenteuerlichen
Gerüchten Glauben schenkte, die sich
um die höchste Erhebung des
Gebirgszugs der Corbières rankten.
In dem „magischen” Berg mit seiner
eigenwilligen Form seien
Außerirdische verborgen, die mit
Hilfe von Ufos Auserwählten die
Flucht vor dem Inferno ermöglichten,
lautete eines davon.
Während wir im September 2014 durch
die entvölkerten Straßenzeilen
streifen, versuchen wir uns das
vorzustellen, was auf Bildern und
Videos von den turbulenten Tagen im
Internet festgehalten ist: Menschen
mit Antennen auf den Köpfen und grün
bemalten Gesichtern, scherzhaft als
Außerirdische hergestellt.
Kamerateams an fast jeder Ecke.
Souvenirverkäufer, die den Hype zu
nutzen versuchen. Doch in der Stille
von heute bedarf das einiger
Fantasie. Fast nichts zeugt noch von
dem Rummel, jetzt, wo die Welt sich
immer noch unbeirrt weiter dreht –
nur der Schriftzug „Mayas
sucks”, den ein Enttäuschter auf das
Verkehrsschild am Ortseingang an der
D4 geschmiert hat.
Doch für Spaziergänger und Wanderer ist Bugarach, eingebettet in seine wunderschöne Landschaft im Pyrenäenvorland, nach wie vor ein lohnendes Ziel. Naturfreunde können hin und wieder am Himmel Adler entdecken, die in der Stille ihre Kreise ziehen. Wanderungen sauf den Spuren der Katharer und zu dem legendären Pic, von dem aus bei gutem Wetter sogar das Mittelmeer sichtbar sein soll. Wir stoßen am Ortsrand auf das Maison de la Nature et de la Randonnée, möglicher Ausgangspunkt. Hier gibt es nicht nur die Möglichkeit zur Rast und Unterkünfte, sondern zu bestimmten Zeiten auch Getränke und etwas zu essen. Aber nicht jetzt. Das Haus ist zu und keine Menschenseele zu sehen.
Ausgehungert fahren wir deshalb ins
benachbarte Rennes-le-Château. Das
hat zwar noch weniger Einwohner als
Bugarach, aber dennoch mehrere
geöffnete Restaurants. Im „La Reine
de Château” können wir uns endlich
handfest stärken, mit einem
hausgemachten Cassoulet. Beim
anschließenden Rundgang durch den
Ort lässt der Trubel um Bugarach in
einem auch mit viel esoterischen
Kram bestückten Andenkenladen noch
einmal grüßen – in Form einer
Ansichtskarte vom Pic, über dem ein
Ufo kreist. Rennes-le-Château hat
übrigens seine eigene mystische
Legende: Sie kreist um einen
geheimnisvollen Schatz, den ein
Pfarrer Ende des 19. Jahrhunderts
dort entdeckt haben soll, den
Heiligen Gral womöglich. Aber das
ist eine andere Geschichte.
Informationen
Internet
Film
Der Dokumentarfilm "Bugarach – Chronik eines Weltuntergangs" unter Regie von Ventura Durall zeichnet den Trubel um Bugarach bis Ende Dezember 2012 nach.