Ein Lemur betrachtet gelassen die Besucher.

Im Tal der Affen

Das Vallée des Singes im Südwesten Frankreichs ist ein Tierpark ohne Gitter: 30 Arten von Primaten werden dort gehegt und erforscht

Von Renate Brämer

Wie es raschelt im Blattwerk, das gar nicht zur Ruhe kommt, immer wieder erzittert durch die auf- und abschnellenden Zweige: Kleine braune Körper huschen hin und her – und nach einem eleganten Sprung thront ein winziges Äffchen hoch über unseren Köpfen auf der Strickleiter, die den buschgesäumten Weg überspannt. „Die hüpfen ja wie Eichhörnchen“, ruft ein junger Besucher überrascht.

Und hat mit der Assoziation ganz recht: Eichhörnchenaffen werden diese zierlichen Saïmiri auch genannt, die aus Südamerika stammen und hervorragende Insektenjäger sind.

Mensch und Tier kommen sich auf dem Gelände ganz nah.Sie gehören zu den rund 30 Arten von Primaten, die im Vallée des Singes im Südwesten Frankreichs gehegt und gepflegt werden. Der ungewöhnliche Tierpark, der vor zehn Jahren nach einem Vorbild in Holland in der Nähe von Poitiers gegründet wurde, bringt Mensch und Tier einander so nahe wie möglich: Trennende Gitter und Käfigstäbe gibt es auf dem 15 Hektar großen Gelände nicht. Damit nicht einer der Affen oder Halbaffen den Besuchern den Proviant stibitzt, ermahnen Schilder dazu, alles Essbare tunlichst im Rucksack oder der Tasche zu lassen. Nur Großaffen wie Schimpansen und Gorillas werden aus Sicherheitsgründen durch breite Wassergräben von den Parkbesuchern ferngehalten.

Keines der rund 350 im Affental lebenden Tiere wurde in der Natur  gefangen – das gehört zum Konzept des Parks, der sich dem Arten- und Naturschutz verschrieben hat. Zu den besonders bedrohten Affenarten, die erst in diesem Jahr dort Einzug hielten, gehören die silberfarbenen Seidenäffchen aus Brasilien. Nur 30 Zentimeter messen die Äffchen mit dem rosigen Gesicht, die nicht mehr als 1300 Gramm auf die Waage bringen. Gegenüber den Pygmäenseidenäffchen wirken sie allerdings riesig: Diese sind die kleinsten Affen der Welt, ihre Babys wiegen bei der Geburt knapp 15 Gramm – soviel wie eine Erbse. Auch der Kronenmaki hat vor kurzem in dem Tal einen geschützten Lebensraum gefunden. Die von Madagaskar stammende Lemurenart ist in der Natur extrem bedroht.

Die zierlichen Eichhörnchenaffen tummeln sich unweit des Eingangs im Blattgrün.Mehr als 300 Geburten hat der besondere Tierpark in den zehn Jahren seines Bestehens verzeichnet. Indem er sich intensiv an Europäischen Erhaltungszuchtprogrammen beteiligt, trägt er zur Erhaltung bedrohter Arten bei. Auch Toùni, der jüngste der Gorillas, wurde vor einem Jahr in dem Tal geboren. Es beherbergt mit elf Tieren die größte Gorillagruppe Frankreichs, die sich um ihr 25 Jahre altes Silberrückenmännchen schart. Der immerhin 220 Kilogramm schwere „Chef“ der Gruppe, die eine  durch einen Wassergraben abgetrennte Insel bewohnt,  baut sich täglich von neuem sein Schlafnest aus Zweigen und Blättern auf dem Boden. Viele Äste der Bäume, in denen die Weibchen und Jungtiere die Nacht verbringen, würden seinem Gewicht gar nicht standhalten.

Hoch in den Baumwipfeln schwingen sich auch die Colobus-Affen mit unnachahmlicher Eleganz von Halt zu Halt, ihr pferdeschweifähnlicher Schwanz weht wie eine Schleppe hinterher.  Auf einer weiteren Insel sind gerade die Schimpansen  dabei, mit Geschick ihr Essen zu ergattern. Die menschliche Schar, die bei der Fütterung zuschaut, erfährt gleichzeitig viel über ihre Lebensbedingungen, ihr Vorkommen und ihre Gefährdung in der Natur. „Menschen und Schimpansen haben zu 98 Prozent das gleiche Erbgut“, erklärt Magaly Degeorge den Besuchern.

Die Schimpansen werden vier Mal pro Tag mit Obst und Gemüse gefüttert.Schwungvoll wirft die Tierpflegerin den zehn Schimpansen, die aus einem holländischen Forschungslabor stammen, dem Schicksal als Testtiere jedoch entgangen sind, Chikoréestangen und Früchte zu. Das Versorgen der großen Affen ist aufwendig, mit einer großen Mahlzeit pro Tag ist es nicht getan. Stattdessen bekommen die Schimpansen vier Mal jeweils eine kleine Portion, um die Ernährungsbedingungen in der Natur so gut wie möglich zu imitieren. „Dort fressen sie schließlich den ganzen Tag über“, betont Degeorge.

Die junge Frau, die seit 2001 zum festen Mitarbeiterstamm des Parks gehört, schildert auch, wie sich die Hierarchie in der Tiergruppe und ihr Zusammenleben gestaltet. Und dass Schimpansen Gesellschaft brauchen, um nicht  autistisch zu werden. Kritische Worte findet sie für den Missbrauch der so menschenähnlich wirkenden und deshalb in Film und Werbung beliebten Affen: „Erwachsene Tiere lassen sich das gar nicht gefallen, deshalb werden immer Jungtiere eingesetzt.“ Denn die Mimik der Tiere wird von den unwissenden Betrachtern völlig missgedeutet: Angst ist es, was das vermeintliche Lachen der Schimpansen mit gefletschten Zähnen in Wirklichkeit widerspiegelt.

Die Lemuren der Art Maki Catta reihen sich vor ihrem Schlafgebäude auf.„Catta! Catta! Cattaaa!“ erschallt es am frühen Abend vor einem der Schlafhäuser im Affental. Doch nicht ein einzelnes Tier mit diesem Rufnamen, sondern gleich eine ganze Schar befolgt den Ruf des Tierpflegers und reiht sich possierlich auf dem Holzgatter auf: Es handelt sich um die Lemurenart Maki Catta, die durch schwarz-weiß geringelte Schwänze und ein graues Fell auffällt.

Mit dem Affental hat das Département Vienne einen zweiten großen Besuchermagnet bekommen: Vor seiner Gründung lockten vor allem der Freizeitpark Futuroscope, der Themen der Wissenschaft und Zukunft anschaulich vermitteln will, und die Stadt Poitiers selbst Touristen in die Gegend. Mehr als 1,5 Millionen Besucher haben inzwischen die faszinierenden Tiere  des Parks besser kennengelernt.

Wer bis kurz vor der Schließung  ausharrt, wenn die meisten schon zum Ausgang strömen,  kann sich bei geschlossenen Augen sogar ein wenig die Welt des Dschungels vorstellen: Dann grunzt und schnattert es, knurrt und wimmert überall geheimnisvoll im Gebüsch.

Informationen

Le Gureau, 86700 Romagne
Telefon (00 33) 05 49 87 20 20
Fax: 05 49 87 63 38
Email: [email protected]

Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, [email protected]

Internet

www.la-vallee-des-singes.fr

www.rendezvousenfrance.com

Anreise

Das Affental Vallée des Singes befindet sich bei dem Örtchen Romagne südlich von Poitiers.

  • Mit der Bahn ist Poitiers per TGV erreichbar, unter anderem von Paris aus.
  • Mit dem Auto führt der Weg über die Autobahn A10 und die Nationalstraße 10.
  • Vom Flughafen Poitiers-Biard aus gibt es  Verbindungen über den Flughafen Lyon zu mehreren deutschen Städten.
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