Etwas Vergleichbares hat der
Betrachter wohl kaum jemals gesehen:
Spitze Türmchen überragen den
seltsamen Bau aus graubraunem Stein,
der von weitem an eine Mischung aus
einem mittelalterlichem Schloss und
einer Kathedrale erinnert.
Etwas Vergleichbares hat der Betrachter wohl kaum jemals gesehen: Spitze Türmchen überragen den seltsamen Bau aus graubraunem Stein, der von weitem an eine Mischung aus einem mittelalterlichem Schloss und einer Kathedrale erinnert. Beim Näherkommen verliert sich der Blick in einer Fülle filigraner Ornamente und Skulpturen an allen Wänden. Hier schneidet ein finsterer Wasserspeier eine drohende Fratze, dort rankt zartes Blattwerk, wenig weiter ragt eine schlanke Säule empor.
„10 000 Tage, 93 000 Stunden, 33 Jahre Erprobungen", verrät eine Inschrift – ein stolzer Hinweis des Menschen, der das skurrile Gebäude im Dörfchen Hauterives im Département Drôme errichtet hat. Mit eigenen Händen, ganz allein. Seit 1879 hatte der Landbriefträger Ferdinand Cheval daran gebaut. Erst 33 Jahre später, also 1912, legte er Maurerkelle, Hammer und Meißel aus der Hand: Sein phantasievolles Werk, für das er allein 3500 Säcke Kalk für Mörtel verbraucht hatte, war vollendet.
Die Idee hierzu war bei ihm während
langer, eintöniger Arbeitstage
gewachsen. Immerhin 32 Kilometer maß
die Tour, die er Tag für Tag
beim Zustellen der Post zurücklegen
musste – zu
Fuß, ohne Rad oder gar Postauto.
Während er die immer gleiche Strecke
zurücklegte, gingen seine Gedanken
zum Zeitvertreib andere Wege.
Wie, überlegte der Briefträger, könnte wohl ein idealer Palast aussehen? Dass es jedoch nicht bei der Gedankenspielerei blieb, sondern er seine Vorstellungen tatsächlich verwirklichte, ist buchstäblich einem „Stein des Anstoßes" zu verdanken. Cheval stolperte eines Tages über einen Stein, hob ihn auf und fand sein Aussehen interessant.
Fortan sammelte der damals 43-Jährige immer mehr Fundstücke dieser Art, baute daraus mit Ausdauer und Hingabe seinen „Palais Idéal". Elemente einer Synagoge, einer Moschee und eines Hindutempels gehören ebenso dazu wie die einer christlichen Kirche.
Ein Schweizer Chalet ist zu sehen, ein ägyptisches Grab, das Weiße Haus. Auf einer Gebäudeseite hat Cheval zudem die Gestalten von Cäser, Vercingetorix und Archimedes modelliert, überlebensgroß – seine „drei Riesen".
Auch in geheimnisvolle Grotten
können die Besucher eintauchen oder
auf schmalen Stufen die Höhe des
Palasts erklimmen.
Überall sind
einzelne Wörter und kurze Texte
zwischen den Bildern und Skulpturen
mit Motiven aus der Natur und der
Bibel eingestreut, fast
philosophisch die einen, eher
rätselhaft-kryptisch die anderen.
„Où le songe devient la
réalite
– wo der
Gedanke Wirklichkeit wird", heißt es
an einer Stelle.
„En créant ce rocher j'ai voulu prouver ce que peut la volonté – Mit der Schaffung dieses Felsens wollte ich beweisen, was der Wille vermag", schreibt der Autodidakt ohne künstlerische Vorbildung an der Westseite des Palasts. Sein Werk zog auch die „Profis" in den Bann. Zahlreiche Künstler ließen sich von der Arbeit des Bauernsohns inspirieren – Pablo Picasso würdigte den „facteur cheval" sogar 1937 mit einer Zeichnung.
Es ist kaum vorstellbar, dass ein
Mann, der nach seinen langen
Arbeitstagen und am Wochenende so
unermüdlich Steine zu einem so
aufwändigen Bauwerk zusammenfügte,
auch noch eine Familie gehabt haben
könnte. Doch der Briefträger war
sogar zwei Mal verheiratet. Nach dem
Tod seiner ersten Frau ehelichte er
Claire-Philomène Richaud, bekam mit
ihr Tochter Alice. Im kleinen
Ausstellungsraum neben dem Eingang
zum Palais Idéal ist ein Foto der
kleinen Familie zu sehen: Ernsthaft
schauen die Drei in die Kamera.
1969 sorgte der Schriftsteller und Kultusminister André Malraux dafür, dass der Palast des Briefträgers als historisches Monument unter Denkmalschutz gestellt wurde. Er gilt als einzigartiges architektonisches Beispiel naiver Kunst. Seit 1994 gehört die Sehenswürdigkeit der Gemeinde Hauterives.
Informationen
- Le Palais Idéal Du Facteur Cheval, 26390 Hauterives, Frankreich/Drôme, Telefon: 00 33 (0) 4 75 68 81 19, Fax : 00 33 (0) 4 75 68 88 15
- Office du Tourisme d'Hauterives, Tel.: 00 33 (0) 4 75 68 86 82
- Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, www.rendezvousenfrance.com
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