Ein Landbriefträger mit Vision

Der Palais Idéal des Facteur Cheval in Hauterives im Département Drôme gilt als seltenes Architekturbeispiel naiver Kunst

Von Renate Brämer

Der skurrile Palast ist in mehr als 30 Jahren mühseliger Arbeit entstanden.Etwas Vergleichbares hat der Betrachter wohl kaum jemals gesehen: Spitze Türmchen überragen den seltsamen Bau aus graubraunem Stein, der von weitem an eine Mischung aus einem mittelalterlichem Schloss und einer Kathedrale erinnert.

Etwas Vergleichbares hat der Betrachter wohl kaum jemals gesehen: Spitze Türmchen überragen den seltsamen Bau aus graubraunem Stein, der von weitem an eine Mischung aus einem mittelalterlichem Schloss und einer Kathedrale erinnert. Beim Näherkommen verliert sich der Blick in einer Fülle filigraner Ornamente und Skulpturen an allen Wänden. Hier schneidet ein finsterer Wasserspeier eine drohende Fratze, dort rankt zartes Blattwerk, wenig weiter ragt eine schlanke Säule empor. 

10 000 Tage, 93 000 Stunden, 33 Jahre Erprobungen", verrät eine Inschriftein stolzer Hinweis des Menschen, der das skurrile Gebäude im Dörfchen Hauterives im Département Drôme errichtet hat. Mit eigenen Händen, ganz allein. Seit 1879 hatte der Landbriefträger Ferdinand Cheval daran gebaut. Erst 33 Jahre später, also 1912, legte er Maurerkelle, Hammer und Meißel aus der Hand: Sein phantasievolles Werk, für das er allein 3500 Säcke Kalk für Mörtel verbraucht hatte, war vollendet.

Die „Drei Riesen" des Briefträgers ragen imposant in die Höhe.Die Idee hierzu war bei ihm während langer, eintöniger Arbeitstage gewachsen. Immerhin 32 Kilometer maß die Tour, die er Tag für Tag  beim Zustellen der Post zurücklegen musste zu Fuß, ohne Rad oder gar Postauto. Während er die immer gleiche Strecke zurücklegte, gingen seine Gedanken zum Zeitvertreib andere Wege.

Wie, überlegte der Briefträger, könnte wohl ein idealer Palast aussehen? Dass es jedoch nicht bei der Gedankenspielerei blieb, sondern er seine Vorstellungen tatsächlich verwirklichte, ist buchstäblich einem Stein des Anstoßes" zu verdanken. Cheval stolperte eines Tages über einen Stein, hob ihn auf und fand sein Aussehen interessant.

Fortan sammelte der damals 43-Jährige immer mehr Fundstücke dieser Art, baute daraus mit Ausdauer und Hingabe seinen Palais Idéal". Elemente einer Synagoge, einer Moschee und eines Hindutempels gehören ebenso dazu wie die einer christlichen Kirche.

Ein Schweizer Chalet ist zu sehen, ein ägyptisches Grab, das Weiße Haus. Auf einer Gebäudeseite hat Cheval zudem die Gestalten von Cäser, Vercingetorix und Archimedes modelliert, überlebensgroß seine drei Riesen".

Auch in  den geheimnisvollen Grotten finden sich kryptische Inschriften.Auch in geheimnisvolle Grotten können die Besucher eintauchen oder auf schmalen Stufen die Höhe des Palasts erklimmen.
Überall sind einzelne Wörter und kurze Texte zwischen den Bildern und Skulpturen mit Motiven aus der Natur und der Bibel eingestreut, fast philosophisch die einen, eher rätselhaft-kryptisch die anderen. Où le songe devient la réalite  wo der Gedanke Wirklichkeit wird", heißt es an einer Stelle.

En créant ce rocher j'ai voulu prouver ce que peut la volonté Mit der Schaffung dieses Felsens wollte ich beweisen, was der Wille vermag", schreibt der Autodidakt ohne künstlerische Vorbildung an der  Westseite des Palasts. Sein Werk zog auch die Profis" in den Bann. Zahlreiche Künstler ließen sich von der Arbeit des Bauernsohns inspirieren Pablo Picasso würdigte den facteur cheval" sogar 1937 mit einer Zeichnung.

Eine Skulptur vor der Post erinnert an den Landbriefträger Cheval.Es ist kaum vorstellbar, dass ein Mann, der nach seinen langen Arbeitstagen und am Wochenende so unermüdlich Steine zu einem so aufwändigen Bauwerk zusammenfügte, auch noch eine Familie gehabt haben könnte. Doch der Briefträger war sogar zwei Mal verheiratet. Nach dem Tod seiner ersten Frau ehelichte er Claire-Philomène Richaud, bekam mit ihr Tochter Alice. Im kleinen Ausstellungsraum neben dem Eingang zum Palais Idéal ist ein Foto der kleinen Familie zu sehen: Ernsthaft schauen die Drei in die Kamera.

1969 sorgte der Schriftsteller und Kultusminister André Malraux  dafür, dass der Palast des Briefträgers als historisches Monument unter Denkmalschutz gestellt wurde. Er gilt als einzigartiges architektonisches Beispiel naiver Kunst. Seit 1994 gehört die Sehenswürdigkeit der Gemeinde Hauterives.

 

Informationen

  • Le Palais Idéal Du Facteur Cheval,  26390 Hauterives, Frankreich/Drôme, Telefon: 00 33 (0) 4 75 68 81 19, Fax : 00 33 (0) 4 75 68 88 15

Internet

www.facteurcheval.com

 

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