Vor der Kulisse der Pyrenäen: Der Bahnhof Canfranc kündet noch immer von vergangener Pracht.

Dornröschen zwischen rostigen Schienen

Der 1928 eröffnete internationale Bahnhof Canfranc mitten in den Pyrenäen wird zurzeit restauriert. Doch die Zugverbindung zwischen Frankreich und Spanien ist schon seit mehr als vierzig Jahren unterbrochen.

Von Renate Brämer

Zahlreiche Unterschriften auf bunten Bändern setzen sich für die Wiedereröffnung des Bahnhofs ein.Zahlreiche bunte Bändchen winden sich um die eisernen Gitterstäbe der Umzäunung und flattern sachte im Wind. „Reapertura ya Wiedereröffnung jetzt” ist darauf zu lesen. Da, wo wir nun stehen, haben sich wenige Tage zuvor mehr als tausend Menschen zu einem nachdrücklichen Appell versammelt: Sie kämpfen dafür, dass die internationale Bahnlinie zwischen Frankreich und Spanien mitten in den Pyrenäen wieder in Betrieb genommen wird und damit auch ihr einstiges Prunkstück, der Bahnhof Canfranc, wieder zum Leben erwacht.

Wie ein schlafendes Dornröschen liegt das monumentale Jugendstilgebäude mit klassizistischem Einschlag, das gerade restauriert wird, derzeit noch zwischen weitgehend verrosteten Gleisen. Wer den winzigen Ort Canfranc-Estación mit nicht einmal 700 Einwohnern im Tal des Aragón südlich des Somportpasses durchfährt, kann es kaum übersehen. Mit einer Länge von 241 Metern war dieser Bahnhofsbau einst der größte  in Spanien und der zweitgrößte in ganz Europa. Nur der Leipziger Bahnhof übertraf ihn mit fast 300 Metern noch.  

Der Bahnhof erwies sich schnell als völlig überdimensioniert. Das Gebäude ist fast 250 Meter lang.Der spanische König Alfonso XIII. und Gaston Doumergue, Präsident der französischen Republik, übergaben den prachtvollen Bau an der Eisenbahnstrecke von Pau in Frankreich bis ins spanische Zaragoza am 18. Juli 1928 seiner Bestimmung.

Obwohl der Bahnhof aus Platzgründen auf spanischem Boden gebaut wurde, war die doppelte Nationalität vertraglich festgelegt: Paris und Madrid sollten einander auf dem Schienenweg näher rücken. „Es gibt keine Pyrenäen mehr”: Mit diesen Worten hat der spanische Monarch der Überlieferung nach die Bahnverbindung bejubelt, die die Gebirgskette überwindet.

Im Inneren des Bahnhofs gab es  zu diesen frühen Glanzzeiten auch ein Nobelhotel und Restaurants. Reisende, die länger blieben, konnten auf einen angenehmen Aufenthalt mit Bergblick zählen. Um einen kurzen Zwischenstopp in Canfranc kam ohnedies niemand herum wegen der unterschiedlichen Gleissysteme beider Länder. Weil die französische Normalspur hier von der spanischen Breitspur abgelöst wurde, mussten die Fahrgäste in einen anderen Zug umsteigen,  nachdem sie in dem  edlen Empfangsgebäude ihre Grenzformalitäten erledigt hatten.

Auf den Bahnsteigen finden sich noch verschleppte Teile des früheren Bahnhofsinventars. Doch die internationale Bahnstrecke sollte nur wenige Jahrzehnte in Betrieb bleiben: Sie wurde von Anfang an bei weitem nicht so intensiv genutzt wie erhofft. Der prachtvolle Bahnhof in dem Örtchen am aragonesischen Zweig des Jakobswegs erwies sich schnell als völlig überdimensioniert.  

Mehrmals wurde die internationale Verbindung unterbrochen, zunächst infolge des Spanischen Bürgerkriegs von 1936 bis 1940. Nachdem die Strecke wieder befahrbar war, passierten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche jüdische Emigranten auf der Flucht vor den Nazis Canfranc. Letztere nutzten diesen Schienenweg zum Transport für Gold, mit dem sie kriegswichtige Rohstoffe wie Wolfram aus Portugal und Spanien bezahlten.

1944 bis 1948 brach die Verbindung zwischen Spanien und Frankreich erneut vorübergehend ab. Nachdem der Zugverkehr wieder aufgenommen worden war, kam der Bahnhof in den 60-er Jahren auch als Kulisse für den Film „Dr. Schiwago” nach dem Roman von Boris Pasternak zu Ehren..

Die Treppenaufgänge zwischen den Bahnsteigen verfallen ebenso wie die Lagerhallen und Lokschuppen.1970 stellte die französische Seite den Verkehr nach einem Zugunglück jedoch endgültig ein: Nachdem ein mit 320 Tonnen Mais beladener Güterzug den Berg ungebremst herabgerollt war und die Brücke von l‘Estanguet zum Einsturz gebracht hatte, wurde sie einfach nicht mehr aufgebaut. Das Relikt der einst so stolzen Verkehrspläne und hochgespannten Erwartungen ist dürftig: Nur zweimal am Tag noch fahren heute Regionalzüge von Canfranc nach Zaragoza und zurück.

Zu gern würden wir einen neugierigen Blick in das Innere des Bahnhofs mit seiner wechselvollen Geschichte werfen. Doch das Bauwerk ist wegen der Renovierungsarbeiten, die wohl noch Jahre andauern, derzeit abgesperrt. Wie es früher darin aussah, spiegelt jedoch ein aufwändiges Projekt der deutschen Fotografen Matthias Maas und Stefan Gregor mit beeindruckenden Bildern wider: Seit 1996 haben sie den  Bahnhof immer wieder abgelichtet, die einst pompöse Innenausstattung mit ihrem prunkvollem Jugendstildekor in ihren Fotos festgehalten.

Welch gewaltige Dimensionen die gesamte Bahnhofsanlage in knapp 1200 Metern Höhe hatte, wird uns bewusst, als wir das Außengelände durchstreifen. Mehr als zwei Dutzend Geleise verrosten zwischen Grasbüscheln und Gestrüpp. Alte hölzerne Schlafwagen, in denen noch die Reste der Stockbetten zu erkennen sind, und Waggons mit morschen Böden verrotten auf den Schienen, allesamt der Witterung schutzlos preisgegeben.

Eine Reihe alter Waggons, zum Teil noch aus Holz, verrottet auf den rostigen Gleisen, die das Gestrüpp überwuchert.Verlassen liegen die einst sorgsam gestalteten Bahnsteige da. Über unterirdische, dämmrige Verbindungsgänge, in denen unsere Schritte hallen, gelangen wir von einem zum anderen. Stille liegt über dem weiten Gelände, das nur hin und wieder ein paar  faszinierte Besucher durchstreifen.

Auch die zahlreichen Schuppen und verfallenden Hallen erinnern noch an die besseren Zeiten des Bahnhofs. Ein Stapel Briketts in einer Ecke scheint noch von der Ära der Dampfloks zu künden, zerschlissene Sitzbänke mit hölzernen gedrechselten Beinen von der aufwändigen Ausstattung. Wie viele Jahre mag der Haufen leerer Sektflaschen schon auf dem Boden verstauben?

Während der einzigartige Bahnhof nach Ende der Bauarbeiten als Luxushotel aus seinem Dornröschenschlaf erwachen soll, dauert das zähe Ringen um eine mögliche Wiedereröffnung der internationalen Zugstrecke jedoch noch an.

Das Dach des internationalen Bahnhofs, der zum Edelhotel werden soll, ist bereits erneuert worden.Dass diese Verbindung wegen des stark anschwellenden Güter- und Personenverkehrs zwischen Spanien und den nördlicheren Ländern sinnvoll und auch wirtschaftlich wäre, hat der Schweizer Jürg Suter in einer Diplomarbeit nachgewiesen ganz im Einklang mit den Leitlinien für die Europäische Verkehrspolitik, die die Europäische Kommission in einem Weissbuch skizziert hat. Außerdem könnte die Nutzung des Schienenwegs die Gebirgslandschaft vor der Umweltbelastung durch den Lastwagen- und Autoverkehr bewahren, die seit Eröffnung des Straßentunnels durch das Somport-Massiv vor wenigen Jahren stark gestiegen ist.

Der brach liegende Abschnitt der Bahnstrecke zwischen Oloron und Bedous wird zurzeit  in Schuss gebracht. Der Lückenschluss auf den restlichen 32 Kilometern bis Canfranc steht auf französischer Seite danach aber immer noch aus.

Nur noch zwei Mal am Tag fahren Regionalzüge von Canfranc nach Zaragoza, die Verbindung nach Frankreich liegt brach. Die spanische Organisation CREFC (Coordinadora para la Reapertura del Ferrocarril Canfranc-Olorón), die unter ihrem Dach Gewerkschaften, Umweltgruppen und Bürgerinitiativen bündelt, kämpft seit vielen Jahren gemeinsam mit ihrer französischen Schwesterorganisation Créloc (Comité pour la Réouverture de la Ligne Oloron-Canfranc), für eine erneute durchgehende Zugverbindung zwischen Pau und Zaragoza. Auch die Regionalregierungen von Aragón in Spanien und Aquitaine in Frankreich verfolgen dieses Ziel.

Am Engagement, es eines Tages zu erreichen, fehlt es nicht. Genau 82 Jahre nach der feierlichen Eröffnung der Strecke mit dem prachtvollen  Bahnhof, am 18. Juli 2010, haben viele Hände aus beiden Ländern das Schleifenmeer geknüpft: „Reapertura ya.”

Siehe auch: Fromage, Fromage  (Zwischen Glas und Gabel)

Informationen


  • Turismo Aragon
    Glorieta Pío XII
    Torreón de la Zuda
    50003 Zaragoza
    Tel. (00 34) 9 02 47 70 00
  • Spanisches Fremdenverkehrsamt
    Kurfürstendamm 63
    10707 Berlin
    Tel. (0 30) 88 26-0 oder (0 61 23) 9 91 34

Internet

  • www.canfranc.de  (Seite der Fotografen Matthias Maas und Stefan Gregor )

Lekture

  • Pyrenäen. Handbuch für individuelles Entdecken. Michael Schuh, Reise Know -How Verlag Bielefeld, 2010.
  • Inwertsetzung einer internationalen Bahnlinie durch die zentralen Pyrenäen, Bedürfnis- und Umsetzungsstudie für den Personen- und Güterverkehr auf der Linie Zaragoza - Canfranc - Pau, Diplomarbeit , Universität Bern, Jürg Suter, 2007
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