Die auch Wisente genannten europäischen Bisons fühlen sich im rauhen Gebirgsklima der Margeride wohl.

Die Bisons von Sainte Eulalie

Ein 200 Hektar großes Reservat im französischen Zentralmassiv bietet Europas größten Landsäugetieren seit 20 Jahren einen Schutzraum

Von Renate Brämer

Das dichte zottelige Fell ist ein guter Schutz vor winterlicher Kälte.Es ist eine seltsame Art von Knurren. Kurze Laute ertönen in rascher Folge, und gar nicht mal besonders laut. Plötzlich hebt sich der mächtige Kopf, und der massige Körper wirft sich nach vorn. Der Sinn der dicken Metallstange, die ein Stück weit hinter dem eigentlichen Zaun angebracht ist, erschließt sich uns nun ohne Zweifel. Wir haben den Bewohner des Geheges, der uns am nächsten ist, durch unser Innehalten offensichtlich beim Fressen gestört. Das zeigt uns der Bison jetzt deutlich. Vom Blick aus sanften Kuhaugen keine Spur. Okay. Dann treten wir eben ein paar Schritte zurück. Bald widmet sich das große Tier wieder seinem Mahl.

Wir können es mitsamt dem Rest der kleinen Herde aus der größeren Distanz nun in Ruhe betrachten. Die gebogenen Hörner. Das bartartig herabhängende Fellbüschel am Hals. Und das zottelige dichte Fell, das wie geschaffen scheint, um auch den rauhen Wintern in der Margeride, einer stark bewaldeten Granitlandschaft im französischen Zentralmassiv, standzuhalten. Hier, nahe beim kleinen Ort Sainte Eulalie, leben in einem 200 Hektar großen Schutzgebiet mehrere Gruppen europäischer Bisons.

Das ausgedehnte Gelände lässt sich auf einer Kutschfahrt erkunden.Bis in das Mittelalter waren die Tiere, die auch Wisente genannt werden, in Europa weit verbreitet. Wandmalereien, wie man sie beispielsweise in der Höhle von Lascaux findet, bezeugen, dass sie schon in vor- und frühgeschichtlicher Zeit zur Fauna zwischen dem Atlantik und dem Ural gehörten. Doch nach dem Ersten Weltkrieg waren die großen Wildrinder so gut wie ausgerottet. Nur dank der Anstrengungen von Tier- und Artenschützern gibt es weltweit heute wieder rund 3800. Der größte Teil von ihnen ist in Polen zu Hause, im Nationalpark von Bialowieza. Weitere in Freiheit lebende Bisons gibt es auch in Weißrussland, Russland und der Ukraine. Auch Reservate tragen seit Jahrzehnten dazu bei, ihr Überleben zu sichern, und fördern ihre erneute Ausbreitung – wie das in Sainte Eulalie, das sich an den europäischen Artenschutzprogrammen beteiligt und auch der Forschung dient.  

Zahlreiche Tafeln bieten Informationen über das Leben der großen Landsäugetiere.Die ersten vierbeinigen Bewohner wurden 1991 aus Polen dorthin gebracht. Heute können Besucher den halbwild lebenden kleinen Herden in dem ausgedehnten Areal je nach Witterung auf Kutsch- oder Schlittenfahrten näherkommen und ihre Lebensgewohnheiten beobachten. Wer lieber zu Fuß unterwegs sein will wie wir, kann auf einer etwa einen Kilometer langen Strecke ein Gehege umrunden. Auf den Informationstafeln am Rand erfahren wir eine Menge Wissenswertes über Bison bonasus, wie der europäische Kollege des amerikanischen Bison bison auf Lateinisch heißt. Zum Beispiel, dass er mit einer Widerristhöhe von bis zu zwei Metern das größte Landsäugetier Europas ist. Männliche Exemplare bringen bis zu einer Tonne und weibliche immer noch bis zu 600 Kilogramm auf die Waage.  

Auch einige amerikanische Bisons sind in dem Reservat zum Vergleich zu sehen.Von dem amerikanischen Bison unterscheidet ihn vieles – angefangen mit dem Lebensraum. Ein dumpfes Beben im Erdboden, das aus der Ferne herangrollt, dann vieltausendfaches Hufedonnern unter einer dichten Staubwolke: Das ist das Bild, das der Schriftsteller Karl May vom Herannahen einer Bisonherde in den weiten Ebenen des Wilden Westens gezeichnet hat. Und das ist das Bild, das in Europa immer noch die Vorstellung von den Tieren prägt, auch wenn Wisente so niemandem jemals vor die Augen kommen.

Denn die europäischen Bisons stapfen nicht über ausgedörrtes offenes Präriegelände, sondern leben in kleinen Herden in Laub-, Nadel- und Mischwäldern. Dort vertilgen die  Schwergewichte im Schnitt etwa 30 Kilogramm an Gräsern und Kräutern, Sträuchern und Laub pro Tag, bei großem Hunger darf es auch mal fast das Doppelte sein.
Wer sie mit den amerikanischen Bisons vergleichen möchte, die in ihrer Heimat in großen Verbänden leben, hat dazu in Sainte Eulalie auch Gelegenheit. Einige dieser Tiere, die massiger sind als die europäischen Verwandten, kürzere Hörner haben und den Kopf gesenkter halten als Wisente, sind dort ebenfalls zu sehen.

Das Museum zeichnet die Geschichte der europäischen Bisons nach.Ein dem Reservat angegliedertes Museum zeichnet die Geschichte der europäischen Bisons ausführlich nach. Unvergessen bleibt hier auch der Bison Postum, den der damalige polnische Präsident Lech Walesa dem französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand im Juni 1991 als Geschenk geschickt hatte und der 1998 im Reservat von Sainte Eulalie starb: Sein präparierter Kopf hängt an der Wand. Im Museum können wir aber auch einem kompletten Bison ohne Furcht aus nächster Nähe in die Augen schauen, obwohl uns kein Gitter von ihm trennt: Das mächtige Tier ist ausgestopft und durch nichts aus seiner erstarrten Ruhe aufzuschrecken.

Informationen


Anreise

über die Autobahn 75, Abfahrt St. Chély-d-Apcher. Weiter über N 106, D 987 und D 14 nach Ste. Eulalie.

Anschrift: 48120 Sainte-Eulalie-En-Margeride,
Departement Lòzere
France
Tel. 04 66 31 40 40

Internet

www.bisoneurope.com
www.lozere.com     

Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main, [email protected], www.rendezvousenfrance.com

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