Der Schrecken jagt einen gehörigen Adrenalinstoß durch den ganzen Körper. Ohne Vorwarnung. Nur zufällig ist der Blick kurz nach oben gewandert – und da steht nun dieser wild aussehende Kerl. Drohend beugt er sich über die Felswand, hält einen dicken Gesteinsbrocken schon zum Wurf bereit. Doch ganz so gefährlich, wie es zunächst scheint, wird der Ausflug dann doch nicht. Die stumme Gestalt verharrt unbeweglich in ihrer Pose und gibt friedlich den Weg frei.
Der führt nun schnurstracks zurück in die Steinzeit: zu den Höhlenwohnungen des La Roque Saint-Christophe bei Tursac. Schon vor über 10 000 Jahren dienten sie frühen Menschen als Behausung. Im Mittelalter suchten ganze Dörfer im Felseninneren Schutz vor Krieg und Bedrohung. Heute ist die uralte Siedlung einer der Hauptanziehungspunkte für die zahlreichen Zeitreisenden, die im französischen Périgord den Spuren der Frühgeschichte nachwandern. Der Landstrich im Südwesten Frankreichs ist mit prähistorischen Fundstellen dicht gespickt.
Schon vor rund 120 000 Jahren lebten Menschen in der Nähe des Flüsschens Vézère. Als Häuslebauer mussten sie sich nicht abmühen: Sie bewohnten die vielen Höhlen, die Wasserläufe in die Felsen gewaschen hatten, und fanden das Klima offensichtlich ebenso angenehm wie spätere Bewohner der Gegend.
Ihre Nachfahren der Gegenwart
pflegen das Erbe der Steinzeit
sorgsam. Sie präsentieren es
ansprechend, mit einem guten Schuss
Geschäftstüchtigkeit
– und
sichtlich auch einer ordentlichen
Portion Humor. Davon zeugt nicht nur
die Skulptur des bedrohlich
wirkenden Höhlenbewohners vom La
Roque Saint-Christophe.
Ganz nahe, beim Städtchen Montignac, liegt die berühmte Höhle von Lascaux. Frühzeitliche Jäger bannten dort einst mit Naturfarben im schwachen Schimmer der Feuerstellen die damalige Tierwelt und ihre eigenen Alltagseindrücke auf die Wände. So entstand ein riesiger Bilderbogen von unvergleichlicher Schönheit.
Unvergleichlich, aber nicht unnachahmlich schön. Denn seit etlichen Jahren müssen die Besucher aus aller Welt mit einem „Double" vorlieb nehmen. 17 000 Jahre hatten die Wandmalereien, für manche die Geburtsstätte der Kunst überhaupt, unberührt und unbeschadet im Erdinneren überstanden. Doch wenige Jahre nach ihrer Entdeckung 1940 strömten schon so viele Besucher dorthin, dass die Schäden durch Algenbildung und Kalkablagerungen im Lauf der Zeit unübersehbar waren. Atemfeuchtigkeit und Erwärmung hatten das Höhlenklima bedrohlich verändert. Was tun, um die einzigartige Fundstelle zu erhalten?
Nach einer Denkpause hatten die Franzosen einen pfiffigen Ausweg gefunden: Ein kleines Stückchen weiter errichteten sie Lascaux II. Ein Computerprogramm half mit, dass bei dem Duplikat nun jeder Felsvorsprung am richtigen Platz sitzt. Auch die eindrucksvollen Bilder von Hirschen, Mammuts und Auerochsen stimmen genau mit ihren Vorbildern überein. Dort dürfen die Besucher sie heute bewundern, stilecht fröstelnd bei künstlich erzeugten 13 Grad wie in der Originalhöhle. Die ist jedoch seit den 60-er Jahren tabu. Doch der Kurztrip in die Steinzeit kann mit einem kleinen Schmunzeln weiterhin gebucht werden – und nur besonders verständnislose Pedanten sprechen mürrisch von Fälschung.
Im nahen Freilichtmuseum Le Thot
können Wissbegierige die
komplizierte Anfertigung des
Faksimiles per Videofilm
rückverfolgen. Für die Kinder nimmt
die Frühgeschichte hier am
anschaulichsten Gestalt an. Da
zerlegen Menschen der
Cro-Magnon-Zeit ihre Jagdbeute,
gehen auf die Pirsch oder ruhen vor
schlichten Fellzelten aus. Als
Modelle natürlich
– oder doch
nicht? Mammut und Rhinozeros bewegen
sich täuschend echt, geben auch mal
ein dumpfes Brüllen von sich. Auch
ein Speerträger spät achtsam nach
rechts und links. Zu danken ist's
dem unsichtbaren
High-Tech-Innenleben.
Im kleinen Ort Les-Eyzies-de-Tayac gibt das Museum der Urgeschichte dann einen gebündelten Überblick über das menschliche Leben vor Jahrtausenden.
Informationen
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