Dieser Imbiss an der Playa
Piskado funktioniert anders als die
Buden, vor denen man für Pommes und
Currywurst Schlange steht. Viel
besser sogar, denn das Essen kostet
keinen Cent – und landet ganz ohne
Bestellung direkt vor den hungrigen
Mündern. Die Fischer werfen die
Abfälle ihres frischen Fangs von
ihrem Stand aus einfach schwungvoll
in das türkisblaue Wasser. Die
blutigen Leckerbissen locken die
Meeresschildkröten nah an den Strand
heran: Jede der gepanzerten
Schwimmerinnen schnappt sich nach
kurzem Gerangel ein Stückchen der
Innereien und schwimmt dann mit
eleganten Flossenschlägen mitsamt
der Beute davon. Nun wirkt der
Anblick der wieder ruhig durch das
Wasser gleitenden Tiere fast wie ein
Wasserballett.
Für die Meeresschildkröte sei der Stand der Fischer ein begehrter Snek, erklärt Ard lachend. Das niederländische Wort ist auf Curaçao, das seit 2010 ein eigenständiger Bestandteil des Königreichs der Niederlande ist, das gebräuchliche für Imbissstand. Der 47-jährige Tierschützer von der Organisation Sea Turtle Conservation Curaçao (STCC) ist froh darüber, dass sich der Bestand der Tiere in der kleinen Bucht seit einiger Zeit sehr gut entwickelt. Vor wenigen Jahren habe man nur eine Handvoll Exemplare gezählt, mittlerweile seien es mehr als 30, berichtet der gebürtige Niederländer.
Von den weltweit sieben Arten ist
in den Gewässern um Curaçao vor
allem die grüne Meeresschildkröte,
auch Suppenschildkröte genannt, zu
finden. Doch auch einige der
seltenen echten Karettschildkröten
mit ihren an Vögel erinnernden
Schnäbeln und Unechte
Karettschildkröten gibt es dort. Die
urtümlichen Tiere, die seit mehr als
250 Millionen Jahren die Meere der
Erde bevölkern, sind durch Wilderer
bedroht, aber auch durch
Plastikmüll, Angelhaken und
Fischernetze, in denen sie sich
verheddern. Immer wieder steigen die
Tierschützer ins Wasser, um
Schildkröten aus den Maschen zu
befreien oder verletzte sowie kranke
Exemplare bei Bedarf zum Tierarzt zu
bringen. Auch verschmutzte und
schwindende Niststrände sind eine
Gefahr für den Fortbestand der
Meeresschildkröten. Die Helfer von
STCC hoffen, durch umfassende
Informationen die Lebensbedingungen
der Tiere verbessern und zum
Artenschutz beitragen zu können.
Ard lässt keine einzige Frage zu den Schildkröten unbeantwortet. Da sie Reptilien sind, müssen sie zum Luftholen immer wieder auftauchen. Nur einige Sekunden jedoch, dann reicht ihr Atemzug ihnen wieder viele Minuten lang oder sogar ein bis zwei Stunden – je nachdem, ob sie sich beim schnellen Schwimmen sehr anstrengen müssen oder ruhig im Wasser verharren. Die Schildkröten können riesige Entfernungen zwischen ihren Futter- und Nistplätzen zurücklegen; zu ihren Eiablageplätzen schwimmen manche weiter als 2500 Kilometer. Die weiblichen Tiere kehren jedes Jahr wieder an den Strand zurück, an dem sie selbst geschlüpft sind. Danach seien sie so abgemagert und entkräftet, dass sie monatelang zu ihrer Erholung brauchten, erzählt Art.
Von einem Steg aus haben wir die
Schildkröten schon eine ganze Weile
beobachtet. Nun zieht es auch mich
hinein ins Wasser, in der Hoffnung
auf einen Blick auf Augenhöhe. Seit
meiner ersten Reise in die Karibik
bin ich von den Tieren fasziniert,
die mit ihren schweren Körpern an
Land recht plump wirken, sich in und
unter Wasser jedoch mit solcher
Anmut bewegen. Und tatsächlich, ich
habe Glück. Nur wenige Meter von mir
entfernt taucht ein schuppiger Kopf
aus dem Wasser auf, zum
Luftschnappen. Allerdings ist das
Verhältnis von oberhalb und
unterhalb der Wasserlinie bei uns
beiden genau umgekehrt. Mein
gepanzertes Gegenüber ist schon
wieder abgetaucht, ich mit
meinem Schnorchel bleibe hingegen
fast immer an der Oberfläche. Und
obwohl es sich um ein nur etwa 40
Zentimeter langes, also noch junges
Tier handelt, bin ich auch deutlich
langsamer. Ich verliere es leider
ziemlich schnell aus den Augen.
Ard hingegen fällt wenig später
eine andere Schildkröte mit
ungewöhnlich langsamen, unbeholfenen
Bewegungen und deutlicher
Schlagseite auf. Behutsam hebt er
das Tier aus dem Wasser, das Hilfe
zu brauchen scheint. Er bittet seine
Assistentin, es einen Moment zu
halten, während er zu seinem Auto
eilt, um das Zubehör zum Messen,
Wiegen und Markieren zu holen. Doch
die Schildkröte windet sich mit
überraschend kräftigen Bewegungen
aus den Händen der jungen Frau und
gleitet zurück ins Meer. Allzu viel
scheint ihr wohl doch nicht gefehlt
zu haben. Sie schwimmt ohne die
Metallmarke mit der Seriennummer
davon, die der Tierschützer
anbringen wollte, und bleibt
weiterhin namenlos, im Gegensatz zu
den bereits registrierten
Artgenossen.
Rund ein halbes Jahrhundert alt können grüne Meeresschildkröten werden, und mit einer Panzerlänge von bis zu 1,50 Metern und bis zu 185 Kilogramm Gewicht auch ziemliche Kolosse. Wenn die noch vorwiegend jungen Schildkröten der Playa Piskado einmal ausgewachsen sind, dann wird der jetzt noch so beliebte Strand-Snek für sie jedoch keine Attraktion mehr sein: Dann sind sie keine Allesfresser mehr wie bei ihrer Geburt, sondern reine Vegetarier. Auf dem Speiseplan stehen dann vor allem Algen und Seegras.
Siehe auch: Korallen, Kolibris und Kadushi
Informationen
Internet
www.seaturtleconservationcuracao.org
Anreise
KLM fliegt zum Beispiel von Frankfurt via Amsterdam in etwa 13 Stunden.
Unterkunft
Die Autorin hat im Blue Bay Village bei Familie Hohmeier gewohnt.
Lektüre
Informativ, kompakt und dennoch anekdotenreich ist der Reiseführer "InselTrip Curaçao" von Barbara Ward, erschienen 2016 im Reise Know-How Verlag.